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Russland steht unter Schock. Wieder stirbt ein namhafter Kremlgegner.
© dpa
Update

Entsetzen über Mord an Kremlkritiker Boris Nemzow: Fluchtauto angeblich gefunden - von Tätern fehlt jede Spur

Wieder stirbt ein namhafter Kremlgegner: Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde am Freitag in Moskau erschossen. Ermittlern zufolge handelte es sich um einen "minutiös geplanten" Auftragsmord. Alle schauen auf Putin. Obama und Merkel fordern rasche Aufklärung.

Boris Nemzow ist tot, der unerschrockene Gegner von Russlands Präsident Wladimir Putin. Erschossen im Herzen Moskaus – einen Tag vor der ersten großen Oppositionskundgebung des Jahres. Nicht nur Regierungsgegner sind schockiert über den politischen Mord. Weltweit herrscht Entsetzen.

Am Samstag strömten Tausende in Moskau mit Blumen, Ikonen und Kerzen an den Ort des Attentats auf den Oppositionspolitiker Boris Nemzow. Der Tatort auf der Großen Moskwa-Brücke liegt ganz in Kreml-Nähe. Viele Russen weinen, sind fassungslos. Erst wenige Stunden ist es her, dass der charismatische Politiker, einst Vize-Regierungschef, hier von vier Schüssen in den Rücken getroffen wurde. Das Staatsfernsehen zeigt in der Nacht zum Samstag, wie Ermittler in der Dunkelheit den entblößten Oberkörper des 55-Jährigen untersuchen.

Alles deutet auf einen Auftragsmord hin

Der scharfe Putin-Gegner soll in Begleitung einer jungen Ukrainerin nach einem Essen in einem Restaurant unterwegs gewesen sein, als auf der Brücke ein Auto anhält. Der Täter feuert dem prominenten Regierungsgegner vier Kugeln in den Rücken. Die Frau, Medien zufolge ein 23 Jahres altes Mannequin, überlebt. Der Killer flüchtet. Fieberhaft nehmen Ermittler die Fahndung auf. Sie hoffen vor allem auf Aufnahmen der in Moskau allgegenwärtigen Videoüberwachung.

Russland steht unter Schock. Wieder stirbt ein namhafter Kremlgegner. Der eiskalte Mord erinnert an die tödlichen Schüsse im Jahr 2006 auf die regierungskritische Journalistin Anna Politkowskaja, die vor ihrer Wohnung starb.

Der Oppositionelle Boris Nemzow wurde am Freitagabend in Moskau erschossen.
Der Oppositionelle Boris Nemzow wurde am Freitagabend in Moskau erschossen.
© AFP

Alles deute auf einen Auftragsmord aus politischen Motiven hin, sagen die Ermittler. Es handele sich „hundertprozentig“ um eine Provokation, meint Putins Sprecher Dmitri Peskow. Der Präsident verurteile den „brutalen Mord“. Später meldet sich Putin in einem Beileidstelegramm zu Wort. Er verspricht, dass alles getan werde für die Aufklärung des „zynischen Mordes“. Wie stets bei solchen politischen Verbrechen in Russland richten sich rasch alle Augen auf den Kreml. Und wie fast immer ist der Machtapparat schnell dabei, jeden Verdacht zu zerstreuen.

Möglicherweise Fluchtauto gefunden

Gleichwohl zweifelt niemand daran, dass Nemzow jede Menge Feinde hatte – besonders im Lager der ultranationalistischen und extremistischen Patrioten. Wegen seiner engen Kontakte zur prowestlichen ukrainischen Regierung zog Nemzow in seiner Heimat offenen Hass und den Vorwurf des Verrates auf sich. Dass er hoffte, der Funken der proeuropäischen Revolution auf dem Maidan in Kiew vor einem Jahr könne auf Moskau überspringen, hat längst zu einer Gegenbewegung unter dem Namen „Anti-Maidan“ in Russland geführt.

Fernsehberichten zufolge haben Ermittler möglicherweise das Fluchtauto der Täter gefunden. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte das weiße Fahrzeug mit einem Nummernschild der russischen Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt. Von den Tätern fehlte demnach allerdings jede Spur.

Fernsehberichten zufolge haben Ermittler das Fluchtauto der Täter gefunden.
Fernsehberichten zufolge haben Ermittler das Fluchtauto der Täter gefunden.
© Reuters

Putin sprach in einer ersten Reaktion von einer politischen „Provokation“. Die Bluttat habe alle Anzeichen eines Auftragsmordes, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow in der Nacht zum Samstag. Der Präsident habe den Angehörigen des Oppositionellen sein Beileid ausgesprochen. Zudem habe Putin die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörde, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB angewiesen, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen. Putin würdigte Nemzow für seine Verdienste und sicherte zu, sich vehement für die Aufklärung des Verbrechens einzusetzen. „Es wird alles getan, damit die Organisatoren und Täter dieses hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe zugeführt werden“, versprach Putin in einem Beileidstelegramm am Samstag an die Mutter von Nemzow. In dem vom Kreml veröffentlichten Schreiben lobte Putin Nemzow als aufrichtigen Politiker, der seine Position verteidigt habe. „Boris Nemzow hat seine Spur in der Geschichte Russlands hinterlassen, in der Politik und im gesellschaftlichen Leben. Ihm fiel es zu, auf bedeutenden Posten in einer schwierigen Übergangszeit für unser Land zu arbeiten. Er hat immer direkt und ehrlich seine Position vertreten und seinen Standpunkt verteidigt“, hieß es in dem Schreiben.

Obama drängt auf schnelle und transparente Aufklärung

US-Präsident Barack Obama forderte die russische Führung zu einer raschen, unvoreingenommenen und transparenten Untersuchung des Mordes auf. Moskau müsse sicherstellen, „dass jene, die für diese bösartige Tat verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte das Weiße Haus. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich bestürzt. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte mit, die Kanzlerin fordere Putin auf, „zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden“. Merkel forderte Russlands Präsident Putin auf, zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen würden. Steinmeier erklärte, er sei “schockiert von der kaltblütigen Ermordung“ Nemzows. Dieser habe sich gegen Korruption und Willkür gestellt, auch wenn seine eigene Freiheit darunter gelitten habe. Mit seiner Ermordung werde “einer furchtlosen Stimme ein jähes und feiges Ende gesetzt“. Die Urheber des Anschlags müssten in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch Bundespräsident Joachim Gauck hat schockiert auf die Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow reagiert. Gauck bekundete am Samstag seinen tiefen Respekt vor dem früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Russlands. Dieser habe sich couragiert für Freiheit, Demokratie und Frieden eingesetzt und dabei auch Kritik an der Moskauer Regierung nicht gescheut. „Für die gesellschaftliche Debatte in Russland ist sein Tod ein unermesslicher Verlust. Gerade jetzt wird seine Stimme fehlen“, ließ der Bundespräsident über seine Sprecherin erklären. Er erwarte von allen Verantwortlichen in Russland, dass sie sich für eine vollständige Aufklärung des Mordes einsetzten.

Gedenkmarsch für Nemzow am Sonntag

An diesem Sonntag wollte Nemzow bei einem Frühlingsmarsch in Moskau auftreten, der ersten großen Oppositionsaktion dieses Jahres – ein organisierter Protest gegen Putins Ukraine-Politik, die aus Sicht des Kremlgegners Russland in den Abgrund stürzt. Doch die Kundgebung ist nun abgesagt. Bis zu 50 000 Menschen werden im Zentrum bei einem Trauermarsch erwartet. (mit dpa/AFP)

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