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28 EU-Länder. 28 nationale Wahlkampagnen statt einer gemeinsamen europäischen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet mit Kampagnenberatern.
© Federico Gambarini/dpa

Europawahl und Schülerstreiks: Feel-Good-Koalition fördert den Politikverdruss

Auf Wahlplakaten und im Umgang mit „Fridays for Future“ wird den Bürgern eine Welt vorgespielt, die es so nicht gibt. Plädoyer für eine Rückkehr zur Realität.

Glaubt noch jemand an Karl Marx? Das Sein bestimmt das Bewusstsein, hielt der Meister des dialektischen Materialismus denen entgegen, die über das Bewusstsein das Sein steuern wollten. Heute meint eine große Koalition von Links bis Rechts, dass der Schein alles bestimmt: vom Bewusstsein bis zum Sein.

Werben für Europa mit falschen Versprechen

Was haben die Wahlplakate für die Europawahl mit der Realität zu tun? Da werben Parteien mit Personen, die nicht zur Wahl stehen und nicht nach Brüssel wollen. Und sie versprechen Lösungen, die gar nicht in die Kompetenz des Europäischen Parlaments (EP) fallen oder null Chance auf Umsetzung haben. Hauptsache, der Schein fühlt sich gut an für die jeweiligen Wähler. Warum ist, zum Beispiel, Robert Habeck auf vielen Plakaten der Grünen zu sehen? Er steht nicht zur Wahl, will nicht nach Brüssel wechseln. Sondern in der Bundespolitik aufsteigen.

Ganz groß bei den falschen Verheißungen ist die AfD. Darüber besteht öffentliche Einigkeit. Sie will das Europaparlament abschaffen. Das wird dieses gewiss nicht beschließen. Aber machen es die proeuropäischen Parteien besser, die in großer Breite suggerieren, bei der Wahl gehe es vor allem um Klimaschutz und die Einführung einer CO2-Steuer? Beides zählt nicht zu den vergemeinschafteten Politikfeldern. Steuern fallen in die nationale Kompetenz, der Großteil der praktischen Klimapolitik ebenso. Wer Taten erwartet, muss auf das gemeinsame Handeln der nationalen Regierungen im Europäischen Rat setzen.

Heiligsprechung von Klimaaktivisten

Die Beispiele der unredlichen Europawahlwerbung ließen sich fortsetzen. Müssen sich die Wähler bei näherem Hinsehen nicht verschaukelt fühlen? Doch es wird nicht näher hingeschaut. Die Wortführer in Politik und Medien, die sonst stolz offenkundige Schwindeleien aufdecken, machen bei der großen Wohlfühl-Koalition mit. Und verdrängen, dass Europaverdruss droht, wenn Irreales versprochen wird. Der Zweck heiligt die Mittel?

Das gilt auch für andere Trends unserer Zeit wie die Hagiografien um 15- bis 18-jährige Schülerinnen, als seien sie Reinkarnationen der Jungfrau von Orleans. Jeanne d’Arc musste kämpfen, um ihre Nation zu retten, ehe sie heilig gesprochen wurde. Das müssen die Wortführerinnen bei „Fridays for Future“ nicht.

Es ist ja gut, dass Jugendliche sich für Politik interessieren, sich vernetzen und demonstrieren. Aber muss man so tun, als habe Greta Thunberg höhere Einsichten als die Kanzlerin und der Papst – und wisse besser, wie man ein hochkomplexes Gebilde wie Deutschland, die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, unter Berücksichtigung aller Aspekte wie Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit, Sozialsysteme, Energiesicherheit in die Zukunft steuert?

Eine 18-Jährige als "Heldin" der VW-Hauptversammlung

Was hat die 18-jährige Clara Mayer so Bedeutendes auf der Aktionärsversammlung bei VW gesagt, dass Medien sie fast durchweg als „mutig“ loben und das Handelsblatt sie als „Heldin des Tages“ feiert? Man braucht in Deutschland weder Mut noch Heldentum, um auszusprechen, dass schwere SUVs nicht klimafreundlich werden, wenn man einen Elektromotor einbaut. Schon gar nicht, wenn sie mit Kohlestrom fahren. VW hat Mayer auch nicht reden lassen, weil sie etwas von der Autoindustrie und deren Zukunft verstünde. Sondern weil Berater meinen, dies sei gut fürs Image. Und weil ihr Auftritt folgenlos bleibt.

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, ruft Clara Mayer. Das ist doppelt anfechtbar. Keine Generation vor ihrer in Deutschland hat in einem besseren Nest aufwachsen dürfen – das gilt bei allen Unzulänglichkeiten von der Demokratie über die Wirtschaft bis zum Umweltschutz. Zweitens müsste sie, wenn sie den globalen Klimawandel eingrenzen will, China, Indien, Afrika und Russland mit seiner Öl- und Gas-Abhängigkeit im Blick haben. Von dort kommt der größte Zuwachs an klimaschädlichen Effekten.

Querdenken hieße, zum Beispiel, zu fordern, dass EU-Staaten die Mittel für Klimaschutz in China, Indien und Afrika statt zu Hause investieren. Dort lässt sich mit jedem Euro weit mehr erreichen als im technisch moderneren Europa, wo der Klimaschutz teurer und der Grenznutzen des Geldes geringer ist.

Und die Europawahlberater sollten die Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR) ernst nehmen, was die Bürger am meisten umtreibt: Sicherheit vor islamischem Terror, die Zerstörung der EU durch Nationalismus und die wirtschaftliche Zukunft. Klimaschutz gehört nicht dazu, selbst in Deutschland reicht es nur für Platz fünf. Mit falschem Schein kann man die Wirklichkeit nicht verändern.

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