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Die Parteispitzen von FDP und Grünen trafen sich in der Nacht zu Mittwoch.
© Instagram/Robert Habeck

Filter-Fan Lindner und Purist Habeck: FDP und Grüne erleben den Kardashian-Moment

Bei ihren Vorsondierungen haben es Baerbock, Habeck, Lindner und Wissing eilig. Das Beweis-Selfie ist jeweils das gleiche, aber nicht dasselbe. Das Netz feiert.

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Auf einmal geht alles ganz schnell. An Tag drei nach der Bundestagswahl erwacht die Republik mit dem Blick auf ein ungewohntes Bild.

Die FDP-Politiker Christian Lindner und Volker Wissing drängen sich mit Annalena Baerbock und Robert Habeck von den Grünen zusammen – gerade so, dass sie gemeinsam zu viert aufs Bild für Instagram passen.

Niemand lacht, doch ein leichtes Lächeln ist auf allen Lippen erkennbar. Bei dem Treffen in einem unbekannten Raum tragen alle vier dunkle Kleidung.

Der dazugehörige Text ist auf den Instagram-Kanälen der vier jeweils identisch: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“

Die sogenannten Vorsondierungen für eine mögliche gemeinsame Regierungsbildung, ursprünglich erst für diesen Mittwoch angekündigt, haben also begonnen.

Doch der geneigten Betrachterin und dem geneigten Betrachter fällt beim Blick in die Instagram-Kanäle der möglichen Ampelmänner und der möglichen Ampelfrau rasch auf, dass bei dem Quartett zumindest in einem Punkt offenbar noch Uneinigkeit herrscht: Selbstdarstellung. Denn alle vier posten zwar jeweils das gleiche Selfie, aber nicht dasselbe.

Am unspektakulärsten kommt die Bildvariante von Habeck daher. Der Grünen-Chef postet das Selfie in voller Breite und ohne Filter. Manche nennen ihn deshalb wohlwollend einen Puristen, böse Zungen dagegen werfen ihm Eitelkeit vor – denn als einziger des Quartetts habe Habeck den automatischen Instagram-Zuschnitt ausgeschaltet, um richtig aufs Bild zu passen.

Habecks Co-Parteichefin Baerbock hingegen entschied sich für den Zuschnitt. Und obendrein gab es auch einen starken Filter, der insbesondere FDP-General Wissing leicht verschwommen aussehen lässt.

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Auch FDP-Chef Lindner spielte für seine Version des Selfies mit den Filteroptionen. Allerdings wählte er eine etwas weniger starke Bearbeitung als die Grünen-Vorsitzende. Leicht kampfes-lustig und rot-lastig kommt jedoch auch diese Variante daher.

Als ein kleines Kuriosum konnte zwischenzeitlich der Post von Wissing bezeichnet werden. Weniger aufgrund des Bildes an sich - scheinbar filterlos und leicht zugeschnitten - als vielmehr wegen der Betextung. Alle vier Selfies haben den identischen Text, doch Wissing unterlief ein Rechtschreibfehler, als er statt „Trennendes“ das Wort „Trennenden“ schrieb. Kopiert hat er die Nachricht allem Anschein nach also nicht. Aber geändert: Inzwischen ist der Post grammatikalisch korrekt.

Booster-Effekt für Instagramkanäle

Erfolgreich ist das Bild in seinen unterschiedlichen Ausführungen allemal. Bis Mittwochmittag heimsten sie bei allen vier Instagramkanälen insgesamt rund 220.000 Likes ein, am meisten bei Lindner mit mehr als 86.000.

Mehr noch: Die vier zeitgleich abgesetzten Postings haben auch eine große Gesamtbedeutung für die Instagram-Profile selbst. So gewannen Baerbock, Habeck und Lindner im Gleichschritt mehr als 10.000 neue Abonnent:innen auf ihren Accounts, Wissing kommt immerhin auf ein Plus von 3000.

Die Posts des Quartetts performen so gut, sie „machen das Internet kaputt“ wie einst Kim Kardashian mit einem Foto ihres Gesäßes. Im November 2014 veröffentlichte das „Paper Magazine“ ein Foto des TV-Stars, das so viral ging, dass der Hashtag #BreakTheInternet sich etablierte.

Wissing, der auf Instagram der das am wenigsten aktivste Mitglied des Quartetts ist, hat zwar den kleinsten Account, aber dafür eine Beeindruckende Interaktionsrate – also, wie viele Likes und Kommentare er auf den Post bekam: Der FDP-Politiker verbuchte mit einem Wert von 93 Prozent deutlich mehr Interaktionen als er im Durchschnitt auf der Plattform sammelt.

Die Social-Media-Manager:innen der Politiker:innen werden sich den 28. September 2021 rot im Kalender markieren. Denn für Lindner, Habeck und Wissing resultiert das inszenierte Selfie in jeder analytischen Betrachtungsweise im erfolgreichsten Instagram-Tag der letzten drei Monate. Baerbock war nur am Tag der Bundestagswahl erfolgreicher.

Wie nachhaltig ein solcher Anstieg an neuen Follower:innen sein kann, ist jedoch fraglich. Viele neue Fans sind nur wegen des einen Selfies mit Meme-Charakter gekommen – und nicht, weil sie unbedingt der Parteilinie der Grünen und der FDP folgen. Aus diesem Grund wird die Interaktionsrate der vier Accounts voraussichtlich in den kommenden Tagen rapide sinken.

Netz amüsiert sich

Der aktuelle Stand jedoch ist beeindruckend. Die Vielzahl an Likes und neuen Followern spiegelt sich indirekt auch in zahlreichen Reminiszenzen und Memes in den sozialen Netzwerken Instagram, Twitter und Co. wider.

So geht auf Twitter eine Animation viral, in der Lindner, Wissing, Baerbock und Habeck ihre Köpfe zum Refrain des Songs „We are Family“ von Sister Sledge kreisen lassen.

Musikalische Assoziationen weckte das Selfie offenbar auch bei einem anderen Twitter-Nutzer, der zu einem Bild der Deutschpop-Band Silbermond auf Englisch schrieb: „Erinnerst du dich an Silbermond? Das sind sie jetzt. Fühlst du dich jetzt alt?“

Auch TV-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann bemühte Musik-Anspielungen und stellte das Selfie Bildern der Bands Garbage und Pretenders gegenüber, garniert mit der Frage: „Garbage, Pretenders & ...?“

Weitaus sachlicher geht ein weiterer Twitter-Nutzer auf das Selfie ein, indem er mit Blick auf das angemessene Bildformat Habecks Instagram-Fertigkeiten lobt. „Neuer Digitalminister!“, lautet sein Fazit.

Die Satireseite „Der Postillon“ veröffentlichte die Schlagzeile „‚Das andere war bearbeitet‘ – Lindner postet korrektes Sondierungsselfie“. Dazu ist eine Version des Vierer-Selfies zu sehen, in der der FDP-Chef in schwarzweiß zu sehen ist – eine Anspielung auf die viel diskutierte Wahlkampfkampagne der Liberalen.

Auch Memes mit Alterungseffekten wie anhand der sogenannten Face App erfreuen sich großer Beliebtheit. Den Post einer Nutzerin, in dem das Quartett ergraut daherkommt und die Männer Rauschebärte tragen, kommentierte ein anderer Nutzer: „Hat es Kubicki doch noch in die Runde geschafft.“ Eine Ähnlichkeit der verfremdeten Herren mit dem FDP-Vize ist ob des Bartes unverkennbar.

Bei allem Humor: Über die Inhalte des grün-gelben Geheimtreffens ist bislang noch nichts bekannt. Es gilt jedoch bereits als sicher, dass dieses Instagram-Selfie den Weg zu einer neuen Bundesregierung bildet.

Für welche Koalitionsoption sich das Quartett von FDP und Grünen entscheidet - entweder für eine Ampel mit der SPD und deren Spitzenkandidaten Olaf Scholz oder ein Jamaika-Bündnis mit der Union um CDU-Chef Armin Laschet - halten diese „spannenden Zeiten“ allerdings noch geheim.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bemühte sich am Mittwochmittag mit Blick auf die Turbulenz um das Selfie um Erdung. „Deutschland braucht keine Fotos, sondern Deutschland braucht eine Regierung, die tatkräftig auch die Herausforderungen annimmt“, erklärte er. Die potenziellen sozialdemokratischen Ampelpartner haben offenkundig auch keine Zeit zu verlieren.

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