„Scholz füllt seine Wahlkampfkasse weiter auf“: FDP hält Nachtragsetat mit neuen Schulden für verfassungswidrig
Die FDP findet das Konjunkturpaket zur Bewältigung der Coronakrise überdimensioniert. Die Regierung solle nicht Kredite aufnehmen, sondern Reserven nutzen.
An diesem Donnerstag will die Koalition den Nachschlag beschließen, den sie für nötig hält, um die Folgen der Coronakrise bewältigen zu können. Die Bundestagsdrucksache trägt die Nummer 19/20000 und hat 280 Seiten. Der Nachschlag ist deftig: Im zweiten Nachtragshaushalt für 2020, den Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eingebracht hat, ist eine Erhöhung der Neuverschuldung um 62,5 Milliarden Euro vorgesehen.
Damit steigt die Kreditaufnahme in diesem Jahr auf eine Rekordsumme von 218,6 Milliarden Euro. Die Gesamtausgaben steigen damit auf 509 Milliarden Euro. Dazu kommen noch Mindereinnahmen etwa durch die am Montag beschlossene Mehrwertsteuersenkung, die bis Jahresende läuft.
Die FDP schließt sich den Kritikern an, die das Paket - größter Teil sind Konjunkturmaßnahmen - für überdimensioniert halten. Noch mehr: „Wir haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken beim Nachtragshaushalt“, sagte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr dem Tagesspiegel. Der Hauptgrund dafür: Die Regierung bunkert nach wie vor hohe zweistellige Milliardensummen in Rücklagen und Nebenhaushalten.
„In den letzten Jahren hat der Finanzminister die Steuerüberschüsse in Rücklagen angespart“, erläutert Dürr die Position seiner Partei. „Spätestens in der Krise wäre es an der Zeit, diese Gelder endlich zu nutzen, die Menschen strukturell zu entlasten und die Konjunktur schnell und effizient anzukurbeln.“
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FDP: „Vorhandene Mittel richtig einsetzen“
Stattdessen fülle Scholz „seine Wahlkampfkasse weiter auf“. Bei einer Neuverschuldung dieser Größenordnung sei es geboten, zunächst die Rücklagen aufzubrauchen. Dann reicht nach Ansicht der FDP auch das Geld für die Konjunkturmaßnahmen. „Die Ausnahmesituation der Schuldenbremse muss zum jetzigen Zeitpunkt nicht noch einmal erklärt werden. Stattdessen müssen die vorhandenen Mittel richtig eingesetzt werden", fordert Dürr.
Der größte Posten in der Kritikliste der Freien Demokraten ist die sogenannte Asylrücklage, in der sich aus Überschüssen der Vorjahre mittlerweile gut 48 Milliarden Euro angesammelt haben. Sie solle vollständig aufgelöst werden, sagt Dürr.
Das Problem aus Sicht der Koalition: Das Geld ist zur Deckung der Etats nach 2020 bereits eingeplant, müsste also ansonsten über Mehreinnahmen oder Minderausgaben herbeigeschafft werden. Die Linie von Schwarz-Rot ist jedoch, alle Corona-Maßnahmen (und noch einiges an finanzpolitischer Stimulanz in die kommenden Jahre hinein) rein aus Schulden zu bezahlen, die allerdings in einem festen Zeitrahmen getilgt werden müssen. Zu diesen in die Zukunft gerichteten Mitteln gehört auch eine schuldenfinanzierte Einlage in den Energie- und Klimafonds der Regierung in Höhe von 24,5 Milliarden Euro – die FDP hält sie für überflüssig.
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Steuerzahlerbund und Rechnungshof sind kritisch
Zudem könnten Haushaltstitel wie die für Dienstreisen, Veranstaltungen oder Tagungen deutlich gekürzt werden, da sie coronabedingt nicht in Anspruch genommen würden. Allerdings verlangt die FDP eine Verbesserung der Konditionen bei der Verlustverrechnung für Unternehmen, was geschätzt zusätzliche Kosten von 25 Milliarden Euro verursachen würde.
Die FDP schließt sich damit den Einschätzungen aus dem Bundesrechnungshof und dem Bund der Steuerzahler an, die den Nachtragsetat ebenfalls für verfassungswidrig halten. Für letzteren hat der Saarbrücker Verfassungsrechtler Christoph Gröpl in einem Gutachten festgestellt, dass kreditfinanzierte Ausgaben und Rücklagen, die über die akute Corona-Bekämpfung hinausgehen, nicht mit dem Notlagenpassus der Schuldenbremse im Grundgesetz begründet werden dürfen.
Dazu zählt der Bund der Steuerzahler aus Maßnahmen zur Digitalisierung der Bundesverwaltung, die im Konjunkturpaket mitbeschlossen wurden. Die „übermäßig hohe Neuverschuldung 2020“ diene dazu, Milliarden Euro für künftige Projekte „zu parken“. Auch der Bundesrechnungshof hatte in einer Stellungnahme zur Anhörung des Nachtragsetats im Haushaltausschuss am Montag verfassungsrechtliche Bedenken erhoben und gefordert, die Neuverschuldung zu senken und Reserven im Etat zu nutzen.