„Von dieser Union nehmen wir keine Anweisungen entgegen“: FDP-Chef Lindner weist die CDU zurecht – und bietet den Grünen Hilfe an
Beim FDP-Bundesparteitag betonen die Liberalen ihre Rolle als „eigenständige Kraft“. Für die Konkurrenz hat Parteichef Lindner nicht nur Kritik übrig.
Mut und Zuversicht – das waren bislang die Hauptmotive der FDP in diesem Bundestagswahlkampf. So wollen die Liberalen den Bürgerinnen und Bürgern etwa ein „neues Aufstiegsversprechen“ machen. Mit Optimismus in die Zukunft blicken, das ist die Botschaft. Das trifft auch die Stimmung beim außerordentlichen FDP-Parteitag am Sonntag in Berlin. Die Delegierten wirken zufrieden. Wie könnte es auch anders sein? Eine Woche vor der Bundestagswahl sind die Umfragewerte der FDP stabil zweistellig, bei zehn bis 13 Prozent liegen sie; nur ein paar Punkte hinter den Grünen. Die Macht ist zum Greifen nah.
Dennoch weichen die Liberalen zur Eröffnung des Parteitags ein Stück weit von ihrem Optimismus-Wahlkampf ab – und probieren es mit ein bisschen Angst. „Unsere Zukunft ist in Gefahr“, heißt es etwa in einem düsteren Kurzfilm, unterlegt mit lauten Technobeats und tiefen Bässen. Freiheit, Wohlstand, Klima – das alles stehe auf dem Spiel. Der Saal wird verdunkelt, wie in einer Geisterbahn wird die Bühne von roten Lampen angestrahlt. Ein Moment lang herrscht Grusel- bis Untergangsstimmung.
Dazu trägt auch der Wirtschaftsmanager Wolfgang Reitzle bei, der als Gastredner auftritt. Er warnt vor dem „Klima-Lockdown“ und der „Rolle rückwärts zum simplen Leben“ in einem Deutschland, das von Grünen und Co. „Schritt für Schritt deindustrialisiert“ werden könnte. „Unsere Situation gleicht der eines Schiffes, das zu sinken droht“, sagt Reitzle, der Aufsichtsratschef des Reifenherstellers Continental ist.
CDU: „Opportunistisch nach links und grün ausgerichtet“
Angst machen wollen die Liberalen an diesem Sonntag vor allem vor einem Szenario: dass Deutschland künftig ohne sie regiert werden könnte. Von einer Union, die sich immer wieder „opportunistisch nach links und grün ausgerichtet“ und nun nicht mehr die Kraft habe, „um einen weiteren Linksdrift in unserem Land zu verhindern“, wie Parteichef Christian Linder sagt. Oder von SPD und Grünen, die beide für eine Koalition mit der Linkspartei offen stünden. Die Linke „darf keine Macht in, darf keine Macht über diesen Staat haben“, sagt er. Der Ausweg aus FDP-Sicht: die Liberalen müssten als „Garant der Mitte“ in die nächste Regierung.
Lindners Rede ist ein einstündiger Ritt durch das FDP-Programm, ein „Best of“ aus dem bisherigen Wahlkampf, könnte man sagen. Im dunkelblauen Anzug steht er auf der Bühne, dicht vor den Delegierten, spricht frei. Er betet die bekannten FDP-Forderungen herunter: Nein zu einem erneuten Corona-Lockdown, mehr Bildung, weniger Bürokratie, mehr Markt und weniger Staat – liberale Klassiker, die zuverlässig für kräftigen Applaus sorgen.
Der 42-Jährige zeigt sich mal staatsmännisch-verantwortungsvoll („Bitte lassen Sie sich impfen“), mal angriffslustig („Was macht der Olaf Scholz eigentlich beruflich?“). Über allem steht aber die Botschaft, dass die FDP das Land verändern möchte. „Nie gab es mehr zu tun“, der Hauptslogan der FDP, prangt in meterhohen Lettern über der Parteitagsbühne.
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In welcher Konstellation die Liberalen regieren wollen – das lassen sie erwartungsgemäß offen. „Aus dem Status einer stärksten Partei ergab sich noch nie ein Führungsanspruch“, sagt Lindner. Gemeint ist: Es ist noch alles möglich; auch wenn die Union am Ende auf Platz zwei hinter der SPD landet.
Zu einer Koalitionsaussage, wie sie die CDU zuletzt eingefordert hatte, will sich die FDP nicht treiben lassen. „Wir sind eine eigenständige Partei“, heißt es in dem Wahlaufruf, den der Parteitag verabschiedet. „Von dieser Union nehmen wir keine Anweisungen entgegen“, sagt Lindner. Unter donnerndem Applaus fügt er hinzu: „Wo kommen wir denn da hin?“
Von der aktuellen Schwäche der Union zeigt sich Lindner überrascht. Die längste Zeit im Wahlkampf ging er davon aus, dass Unionskandidat Armin Laschet „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ der nächste Bundeskanzler werde. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. „Ausgerechnet die Union verlangt jetzt von uns, wir sollten irgendetwas ausschließen.“
Zwar teilt er pflichtgemäß gegen die Konkurrenz aus. „Die SPD ist stark, weil sie zeigt, wie sie in Wahrheit gar nicht ist. Und die CDU ist schwach, weil sie nach der Ära Merkel zeigt, wie sie wirklich ist“, sagt er. Die SPD habe es geschafft, ihre linke Parteichefin Saskia Esken und ihren Vize Kevin Kühnert „von der Öffentlichkeit zu verbergen“. Den Grünen wirft Lindner vor, aus Deutschland ein „Büllerbü“ machen zu wollen. „Klimaschütz by Büllerbü wird aber niemals ein Exportschlager sein“, sagt er. „German engineered Klimaschutz“ ist, was dem FDP-Chef vorschwebt. Mit Grünen-Ideen wie subventionierten Lastenrädern könne man zwar „Moralweltmeister“ werden. „Aber niemand wird uns folgen.“
Es sind die Elemente, die in einer Wahlkampfrede nicht fehlen dürfen.
„Man kann den Grünen durchaus assistieren“
Doch Lindner sendet an diesem Sonntag auch deutlich freundlichere Signale an alle seine potentiellen Partner aus – nämlich, dass mit seiner FDP vieles möglich sei. Mit Laschet arbeite man in NRW „fair partnerschaftlich und erfolgreich“ zusammen, sagt er. Der CDU-Chef hebe sich in der Finanzpolitik „wohltuend“ von der Konkurrenz ab. Der SPD und ihrem Kandidaten Olaf Scholz bescheinigt Lindner einen Wahlkampf, der „handwerklich geschickt“ sei.
Ja, sogar für die Grünen hat Lindner warme Worte übrig. „Die Grünen haben für Kinder durchaus sinnvolles im Programm“, sagt er. „Man kann den Grünen durchaus assistieren, wie sie ihre sinnvollen Ideen besser finanzieren können.“ Es lässt sich so verstehen: Solange man finanzpolitisch die FDP-Forderungen – keine Steuererhöhung, kein Aufweichen der Schuldenbremse – einhalte, stehe seine Partei bereit für eine Zusammenarbeit mit den Grünen. Was die Finanzierung angeht, so könne man „den Staat auf den Prüfstand stellen“ und fragen: „Wo gibt es Dinge, die wir nicht brauchen?“ Auf die staatlichen Subventionen für E-Autos würde Lindner etwa gerne verzichten.
Bis zum Wahltag in einer Woche will Lindner nun den wenige Prozentpunkte großen Abstand zu den Grünen „verkürzen“, wie er sagt. Damit FDP und Grüne am Schluss möglichst auf Augenhöhe stehen. Alles andere zeigt sich wohl danach.