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Betrüger bieten gefälschte Impfausweise an.
© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Freiheit für 'nen Fuffi: Fälschung von Impfpässen kann kaum verhindert werden

Gefälschte Impfpässe werden zum Problem und die Politik kommt nicht hinterher. Doch eine sichere und digitale Lösung ist nicht in Sicht. Woran liegt das?

Das gelbe Dokument ist das Büchlein zur Freiheit – zumindest für die, die bereits vollständig gegen das Coronavirus geimpft sind. Denn seit Sonntag gelten für Geimpfte und Genesene andere Regeln, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren entfallen für sie. Ihren Status müssen sie aber nachweisen können.

[Mehr zum Thema: Der Weg zum Impftermin in Berlin – Ich möchte mich impfen lassen. Was kann ich tun? (T+)]. 

Das ist ein Problem, denn der gelbe Impfausweis, in dem die Impfungen bisher eingetragen werden, kann leicht gefälscht werden. Eine sichere und komplett digitale Lösung ist nicht in Sicht – dafür hat die Politik zu langsam gehandelt.

Wo sind falsche Impfpässe im Umlauf?

Bei Telegram scheint die Freiheit ganz nah zu sein. Zumindest die, die man mit einer Impfung wiederbekommt. Schon ab 50 Euro werden dort von privaten Nutzer:innen gefälschte gelbe Impfpässe angeboten. Angeblich soll es sie mit original Stempel, Sticker und Unterschrift vom Arzt geben. Manche werben mit „original Biontech Pfizer Aufklebern”. Die Anbieter wollen die Ausstellungsorte an den Impfbezirk anpassen und sich dabei nach der Versandadresse richten.

Käufer:innen bekommen den Impfpass angeblich per Post zugeschickt. Von diesen Fälschungsangeboten gibt es einige, über Telegram bekommt man sie wohl am unkompliziertesten. Der Messengerdienst Telegram ist vergleichbar mit Whatsapp, hat aber erweiterte Gruppenfunktionen, die viel genutzt werden. Wer die App nutzt und bei der Suchfunktion nur „Impfpass” oder „Impfausweis” eingibt, findet gleich mehrere Gruppen, die die gefälschten Imfpässe anbieten. Telegram hat teilweise den Ruf einer Protest-App. Sie wird wenig reguliert, außerdem sind dort viele Querdenker und Menschen, die dem Milieu nahe stehen, unterwegs.

Was sagen die Berliner Behörden?

Der Staatsanwaltschaft Berlin sind bisher zwei solcher Fälle bekannt. In einem der Fälle wurden drei Männer im Alter von 28, 30 und 39 Jahren Ende April am U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord in Hellersdorf festgenommen. Sie wollten Zivilbeamten des Landeskriminalamtes gefälschte Impfausweise verkaufen und boten sie ihnen zuvor über einen Messengerdienst an, wie es in einer Mitteilung der Berliner Polizei heißt. Insgesamt wurden bei den Männern sieben Impfausweise gefunden. Fünf Stück wurden für insgesamt 1500 Euro zum Kauf angeboten, wie die Berliner Staatsanwaltschaft mitteilte.

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Im zweiten Fall, der den Behörden bekannt ist, wurde ein 27-jähriger Berliner in Lichterfelde festgenommen. Auch er wurde durch Zivilpolizisten überführt, auch er bot die gefälschten Impfausweise über einen Messenger an. In seiner Wohnung lagerte er 46 Impfbücher und 33 Impfaufkleber. Außerdem fanden die Beamten neben Drogen wie Kokain und Amphetamine zehntausend Euro mutmaßlichen Handelserlös, eine Schreckschusswaffe und mehrere tausend Euro Falschgeld.

Thomas Thieme von der Berliner Staatsanwaltschaft schätzt, dass durch die öffentliche Diskussion über Lockerungen für Geimpfte „Kriminelle dieses Spielfeld für sich entdeckt haben, um Geld zu verdienen”. Das Dunkelfeld oder ein Täterprofil könne er wegen der geringen Zahl an bisher bekannten Fällen und Tatverdächtigen nicht zeichnen.

Wie werden die Ausweise gefälscht?

„Die Fälschung der Impfbücher ist relativ einfach zu bewerkstelligen. Auf einschlägigen Online-Shops gibt es die Impfbücher blanko zu erwerben. Das allein ist nicht strafbar“, erklärt Thieme. Die Täter würden dann Stempel, Unterschrift und Aufkleber mit dem Namen des Impfstoffs und einer Chargennummer fälschen. Jede Impfstoff-Produktionseinheit (Charge) hat eine Nummer, die auf dem Impfaufkleber eingetragen wird.

Die Firma Biontech stellt eine „Druckanleitung für Impfausweis-Etiketten“ sogar selbst auf ihrer Website zur Verfügung. Eine Anfrage des Tagesspiegel an das Pharmaunternehmen blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Die Chargennummern der Impfdosen würden die Kriminellen etwa über Fotos von Impfpässen auf Sozialen Medien übernehmen. „Ich kann nur an alle Geimpften appellieren – so groß die Freude über die Impfung auch sein mag – keine Fotos vom Impfpass ins Internet zu stellen”, sagt Thieme.

Mit welchen Strafen müssen Fälscher und Käufer rechnen?

Rechtlich fallen falsche Atteste oder gefälschte Impfpässe grundsätzlich unter den Tatbestand der Urkundenfälschung. Diese wird laut Strafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren sanktioniert. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte betont, dass es sich dabei nicht um ein Kavaliersdelikt halte, sondern um eine strafbewehrte Handlung, die auch verfolgt werde.

Allerdings hat die Urkundenfälschung mit Blick auf gefälschte Impfpässe einen Konkurrenten. Denn das Strafgesetzbuch stellt in einer anderen Norm (§ 277 StGB) auch explizit die Fälschung von Gesundheitszeugnissen unter Strafe. Die Folge: Nur ein Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.

Gesundheitsminister Jens Spahn.
Gesundheitsminister Jens Spahn.
© dpa

Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich befürchtet deshalb, dass für die Impfpass-Fälschung die Urkundenfälschung als Straftatbestand möglicherweise gesperrt sein könnte und die Täter lediglich nach der milderen Norm, nämlich der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, bestraft werden könnten. „Dies hätte womöglich eine weniger abschreckende Wirkung für die Täter“, warnt Ullrich gegenüber dem Tagesspiegel. „Über diese strafrechtlichen Regelungen muss sich die Politik zumindest Gedanken machen. Das sollte man offen diskutieren. Man muss prüfen, ob das geltende Recht hier ausreichend ist.“

Wäre der digitale Impfausweis fälschungssicher?

Das kleine gelbe Papierbüchlein ist Fluch und Segen zugleich. Denn der unscheinbare Papier-Impfpass gilt derzeit als einziger Nachweis über den Impfschutz, mit dem ab dem Wochenende wieder einige Freiheiten zurückkommen sollen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte angekündigt, dass zwischen Mitte Mai und Ende Juni eine digitale Form des Impfausweises kommen solle.

Laut Gesundheitsministerium sollen dafür die im Papierausweis eingetragenen Impfungen mittels Arztpraxen, Impfzentren oder Apotheken auf den neuen digitalen EU-Impfausweis übertragen werden. Ein Vorhaben, das Kritik auslöst. Denn da die Einträge für Corona-Impfungen so leicht gefälscht werden können und sich Fake und Original schwer unterscheiden lassen, muss davon ausgegangen werden, dass auch einige Fälschungen den Weg ins digitale System finden.

Spahn hatte zwar auf dem Ärztetag versprochen, dass der digitale Ausweis „eine ziemlich sichere Veranstaltung“ sein würde, doch auch er sah, dass das Übertragen von gefälschten analogen Impfpässen ins Digitale zu Problemen führen könne. Daran, den digitalen Eintrag auch in Apotheken vornehmen zu lassen, will er jedoch festhalten – um Impfärzte und -zentren nicht zu überlasten. Und so sei das Gesundheitsministerium derzeit noch auf der Suche nach dem richtigen Mittelweg.

Die Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC) sieht die Verantwortung für die offene Sicherheitslücke ganz klar beim Gesundheitsministerium. Beim Eintrag in den gelben Ausweis fehle die Absicherung gegen Fälscher komplett. „Das hätte man auch besser lösen können – mit Hologrammaufklebern etwa, mit geprägtem Papier, mit Materialien, die sich nicht jeder auf Amazon zusammenklicken kann”, sagte CCC-Sprecher Matthias Marx.

Warum gibt es den digitalen Impfpass nicht schon längst?

Bislang diente der Impfpass vor allem den Geimpften selbst und den Ärzten als Überblick über vorhandene Immunisierungen. Nur in seltenen Fällen, etwa bei der Einreise andere Staaten, war es notwendig, einen Impfausweis mit entsprechenden Impfnachweisen bei sich zu führen. Er war also zuvor gar nicht darauf ausgelegt fälschungssicher zu sein. Vor der Pandemie gab es dafür schlicht keine Notwendigkeit. Jetzt ist er jedoch quasi zur Eintrittskarte fürs Restaurant und Kino geworden.

Friedrich Merz (CDU) sagte am Donnerstagabend in der Show von Markus Lanz, er habe Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits vor einem Jahr gesagt sie bräuchten fälschungssichere Impfausweise. Und auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, kritisiert: „Die Bundesregierung hat so einige Themen verschlafen, ganz besonders digitale Antworten auf die Pandemie.

Zu Beginn der Pandemie standen Schutzausrüstung und Wirtschaftshilfen im Vordergrund, das ist verständlich.“ Aber spätestens im vergangenen Sommer, als die erste Welle vorüber war, hätte man sich ernsthaft mit der Weiterentwicklung der Corona-Warnapp und der Entwicklung eines digitalen Impfausweises befassen müssen.

So sieht es auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt: „Digitale Impfnachweise können den Menschen im Land dann hilfreich sein, wenn sie nicht bloß vollmundig angekündigt werden, sondern tatsächlich auch kommen – und wenn klar ist, welcher konkrete Nutzen mit ihnen verbunden ist.“, sagt Weigeldt zum Tagesspiegel. Bei den neuerlichen Versprechungen dürfe man jedoch skeptisch bleiben, ob auch zeitnah Taten folgen werden.

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