Journalismus in Zeiten von Trump: Fair, objektiv, neutral - das war einmal! Wirklich?
Können Medien neutral sein? Muss Journalismus jeder Meinung eine Bühne bieten? Eine Debatte aus der "New York Times" bewegt deutsche Redaktionen. Ein Kommentar
Es gibt ein Thema, das die Rechtspopulisten aller Länder eint. Es ist die Verachtung der freien Presse. Die „Mainstream Medien“ seien abgehoben und elitär, heißt es, sie verbreiteten „Fake News“ und interessierten sich nicht für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung.
Außerdem seien die meisten Redakteure linksliberal und hätten sich von den Idealen einer fairen, objektiven und neutralen Berichterstattung verabschiedet. Stattdessen betrachteten sie sich als Teil eines Kulturkampfes, um ihre Werte mit aller Macht durchzusetzen.
Es geschieht nicht oft, dass ein Redakteur des „Spiegel“ einem zentralen Aspekt dieser Vorhaltungen zustimmt. „Die Zeit der Neutralität ist vorbei“, schreibt Philipp Oehmke in einem erfrischend offenen Debattenbeitrag. Denn er meint das nicht etwa bedauernd, sondern leitet daraus das Recht ab, bestimmte Positionen nicht abzubilden.
Die Auffassung, auch Gegenargumente aufzeigen zu müssen, sei „selbstgefällig und denkfaul“. Mit dem Anspruch auf journalistische Fairness würde den abstrusesten Faktenverdrehungen Raum gegeben. Oehmke geißelt „Neutralitätsfanatiker“ und schreibt: „Wer stets allen Positionen Raum verschaffen will, macht es sich einfach und begibt sich in eine moralische Indifferenz.“
Es ehrt den „Spiegel“, dass er noch am selben Tag einen anderen Redakteur, Florian Gathmann, widersprechen ließ. Als Journalist der Welt so unvoreingenommen wie möglich gegenüberzutreten, sei „wichtiger denn je“. Gerade weil auch Journalisten ihren eigenen Blick, eigene Prägungen und Überzeugungen hätten, müssten sie in ihrer Arbeit „so neutral wie möglich“ sein, schreibt Gathmann und erinnert an den Leitspruch des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein - „Sagen, was ist“.
Gegen den Abdruck hagelte es Proteste
Hintergrund der Kontroverse, die beileibe nicht nur innerhalb des Hamburger Magazins ausgetragen wird, ist die jüngste Aufregung bei der „New York Times“. Dort war der Chef der Meinungsseite, James Bennet, zum Rücktritt gedrängt worden, weil er einen Gastbeitrag des republikanischen Senators und Trump-Anhängers Tom Cotton hatte erscheinen lassen, der gefordert hatte, das Militär gegen gewalttätige Anti-Rassismus-Demonstranten einzusetzen. Gegen den Abdruck dieser Position hagelte es Proteste, sowohl von Lesern als auch von vielen hundert Mitarbeitern der Zeitung.
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Oehmke wertet den Aufstand und die massenhaften Abonnements-Kündigungen als Zeichen dafür, „dass die Leser möglicherweise weiter sind als die Journalisten in den Führungsetagen“. Sie hätten halt keinen Artikel lesen wollen, der zum Einsatz des Militärs gegen die eigene Bevölkerung rät. Auch von den „Mainstream-Medien“ werde verlangt, „Farbe zu bekennen“.
Es ist klar, dass Trump und die Seinen die Affäre feixend und höhnisch kommentieren. Die Linke habe offenbar ein Problem mit der Meinungsfreiheit. Die Sache ist vertrackt, denn in der Tat scheint seit Trump das Spektrum an Positionen, die in der liberalen Presse als falsch deklariert, aber erträglich empfunden werden, kleiner geworden zu sein.
Die Demokratie sei im Trump-Zeitalter zu fragil geworden, schreibt Andrew Marantz im „New Yorker“, als dass noch länger darauf bestanden werden könne, dass ein „Marktplatz an Ideen“ die Probleme schon irgendwie lösen würde. Und er fragt: „Die offene Debatte ist eine wunderbare Sache, aber ist es möglich, dass die Verteidigung dieser Offenheit einen blind machen kann für klare und akute Gefahren?“
Ein Hauch von „journalistischer Feigheit“
Dem widerspricht energisch Kathleen Parker, Kolumnistin der „Washington Post“: Man brauche nicht viel Mut, um sich einer Gang anzuschließen, eine Meinung zu unterdrücken oder eine Karriere zu ruinieren, schreibt sie. „Aber man braucht viel Mut, um sich alleine einer Welle von Mistgabel schwingenden Twitter-Tyrannen entgegenzustellen und den freien Austausch von Ideen zu verteidigen, auch wenn einige davon schlecht sind.“
Steven A. Holmes, der 15 Jahre lang für die „New York Times“ gearbeitet hat, kommentiert die Affäre auf der Webseite von CNN aus einer überraschenden Perspektive. Die Zeitung sei stolz auf ihre Diversität, schreibt er. Vielfalt in Fragen der Ethnie, des Geschlechts und der sexuellen Orientierung würden als bereichernd gewertet. Doch eine Vielfalt von Meinungen werde nicht ertragen. Das habe einen Hauch von „journalistischer Feigheit“.
Ausgewogenheit, Objektivität, Fairness, Neutralität: Diesen Idealen können Journalisten sich nur annähern. Das gelingt am besten durch Neugier und Offenheit. Dass jeder Autor eines Textes sein eigenes Weltbild mit eigenen Prägungen hat, ist eine Binse. Doch daraus eine Legitimation abzuleiten, die Ideale insgesamt über Bord schmeißen zu dürfen, wäre fatal. Auch Redaktionen müssen beherzigen, dass das lateinische Verb „tolerare“ das Ertragen des Anderen meint, also das Ertragen von Differenz, das in extremen Fällen ein Aushalten der Differenz ist.
Unliebsames soll ausgeblendet werden
Der Gastbeitrag von Cotton, der eine einflussreiche Stimme innerhalb der Republikanischen Partei ist und als ein möglicher Präsidentschaftskandidat gilt, transportiert eine Ideologie, die repräsentativ ist für einen Großteil der Trump-Wähler. Das verleiht ihr einen Nachrichtenwert. Es gibt gute Gründe, diese Ideologie für gefährlich, zynisch, kalt und niederträchtig zu halten. Aber zu glauben, dass es Ressentiments ohne jene nicht mehr gibt, die sie verbreiten, wäre töricht.
Es ist doch absurd: In Dutzenden von Fällen – von Kurt Tucholsky („Soldaten sind Mörder“) über die Mohammed-Karikaturen bis zu „Charlie Hebdo“ – wird zu Recht die Freiheit von Schriftstellern und Journalisten verteidigt, anderen Menschen wehtun zu dürfen, ob durch Polemik oder Satire, Zeichnungen oder Gedichte.
Aber wenn das eigene Wertesystem durch Konfrontation mit einem anderen herausgefordert wird, werden allerlei taktische Erwägungen ins Feld geführt, um Unliebsames ausblenden zu können. Medien müssen nicht für Donald Trump sein. Aber die Angst, irgendetwas zu publizieren, was diesem Präsidenten in die Hände spielt, ist ein schlechtes journalistisches Leitmotiv.
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