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Anas Modamani vor dem Würzburger Landgericht. Eine Entscheidung gibt es vorläufig noch nicht.
© AFP

Fake News und Verleumdungen: Facebook muss Gesicht zeigen

Die Klage eines Flüchtlings wegen Fotografien mit Kanzlerin Merkel beweist, wie sich soziale Netzwerke vor ihrer Verantwortung drücken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Schnappschüsse mit Angela Merkel und Flüchtlingen aus dem Sommer 2015, ehedem Sinnbilder einer so aufgeputschten wie offenbar wenig nachhaltigen Willkommenskultur, haben sich im Zugriff der sozialen Netzwerke in Lügen- und Hassbotschaften verwandelt. Nicht wenige Betroffene, wie jetzt der Syrer Anas Modamani, dürften ihre Selbstpräsentation bereuen. Sie geistern durchs Netz als Terrorverdächtige oder müssen als Zielscheibe für Anti-Merkel-Spott herhalten, vielfach verändert und verfremdet, aus Zusammenhängen gerissen oder in neue hineingestellt.

Modamanis jetzt viel beachteter Gang vor das Würzburger Landgericht, mit dem er Facebook stärker in die Verantwortung nehmen will, steht stellvertretend für den wachsenden Unmut, mit dem die Dienste der globalen Kommunikationsgiganten gesehen werden. Zu ehemals vereinzelten, heute massenhaften Verletzungen persönlicher Rechte kommen die Verhärtungen im politischen Ton, die Diskussionen um Falschnachrichten (Fake News), die Scharfmacherei gegen Andersfarbige, Andersgläubige und Andersdenkende.

Was muss Modamani ertragen? Was müssen wir ertragen? Merkel durfte sich von Netzverstehern verlachen lassen, als sie das Internet noch in einer Zeit als „Neuland“ markierte, in der das Wort Google längst zum Inbegriff von Suchen und Finden geworden war. Dabei hatte sie recht. Neuland, darauf steht Donald Trump, der mittels Twitterorgie eine Wahl entschied, Neuland ist ein Brexit, den kaum einer vorhersah, Neuland sind Geheimdienste, die sich in digitalen Wolken verstecken; Neuland, das ist das Verächtlichmachen des politischen Kompromisses und das revolutionäre Pathos, mit dem eine Partei wie die AfD den nächsten Bundestag ansteuert.

In der Diskussion, welche Leitplanken einem Unternehmen wie Facebook zu geben sind, geht es folglich weniger um technische Möglichkeiten als um soziale Realität. Es ist nicht zwingend die Aufgabe einer Regierung, diese Realität zu entwickeln, wohl aber eine der Politik, ihren rechtlichen Rahmen anzupassen. Freilich erst, wenn es nötig wird. So haben es sich die Netzwerke in einer Nische bequem gemacht, die mittlerweile immer größere und bestimmendere Teile der politisch-medialen Debatten umfasst. Hier sind sie erst verantwortlich, wenn sie nachweisbar von rechtswidrigen Inhalten Kenntnis erhalten haben und trotzdem untätig bleiben. Im Prinzip keine schlechte Regel, die jedoch an Grenzen stößt, wenn niemand sie effektiv durchsetzen kann – angesichts eines im fernen Dublin für Europa zuständigen Sitzes sowie fehlender nationaler Zuständigkeiten und Kontaktoptionen.

Hinter Modamanis Klage steht ein Würzburger Anwalt, der dem Netzriesen in verdienstvoller Absicht mit den verschiedensten Verfahren Fesseln anlegen lassen will. Der Ausgang ist offen, aber bisher zeichnet sich ab, dass die Gerichte den Gesetzgeber nicht ersetzen können. Und sie sollen es auch nicht. Mittelfristig müssen neue Regeln her. Facebook ist nicht an allem schuld. Aber haftet mit.

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