Falschmeldungen auf Facebook: Kampf gegen Fake News muss schon in der Schule beginnen
Es reicht nicht, Schülern und Studierenden nur die Nutzung neuer Medien beizubringen. Noch fehlt das Bewusstsein für die Dimension des Problems Fake News.
Facebook ist schuld! So hieß es nach Donald Trumps Wahlsieg. Zumindest trage es eine Mitschuld an den vielen Falschmeldungen und Hassreden auf seinen Seiten. Zum Beispiel, dass der Papst Trump unterstütze oder Hillary Clinton einen Kinderpornoring mit einem Pizzaladen als Hauptquartier organisiere. Mark Zuckerberg, der Vorstandsvorsitzende, wies alle Vorwürfe von sich, musste aber bald zugeben, dass Facebook ein Problem mit Falschmeldungen habe. Manche Beiträge empfinde man nur deswegen als falsch, weil sie der eigenen Perspektive widersprechen, gab Zuckerberg zu bedenken. Zugleich warnte er davor, als Schiedsrichter der Wahrheit auftreten zu wollen. Heißt das, man muss allen Unsinn an die Öffentlichkeit lassen?
Im Grunde ja – allerdings versehen mit einem negativen Gütesiegel, den die Facebook-Gemeinde selbst vergibt. Zuckerbergs Antwort ist das „social tagging“ möglicher Falschmeldungen durch die Leser und die anschließende Entscheidung über inkriminierte Beiträge durch externe Experten. Diese Vergesellschaftung des Urteils ist sicher besser, als Zuckerberg selbst die Rolle des Großzensors zu überlassen. Gut ist aber auch dies nicht. Soll man den Geist der öffentlichen Brandmarkung wirklich aus der Flasche lassen, selbst wenn er sich im Namen des Guten auf den Weg macht? Sind Wahrheitsministerien etwa weniger suizidal für eine liberale Gesellschaft, wenn sie basisdemokratisch operieren?
Die Frage, was die Gesellschaft gegen Falschmeldungen in sozialen Netzwerken tun kann, sollte vielleicht eine Stufe tiefer ansetzen: Kann man Facebook überhaupt verantwortlich machen? Müsste man dann nicht auch die Post dafür anklagen, dass sie Erpresserbriefe zustellt? Schließlich handelt es sich in beiden Fällen um Technologiefirmen, nicht um Medienanbieter, wie Zuckerberg nicht müde wird zu betonen.
Anders als die Post bringt Facebook das Problem mit hervor
Der Vergleich hinkt schon deshalb, weil Meldungen und Reden auf Facebook nicht rein privat sind. Zudem ermuntert die Post nicht zur Versendung von Erpresserbriefen, während Facebook das Problem, das ihm vorgeworfen wird, in gewissem Maße selbst hervorbringt. Seine Funktionslogik bietet Gewächshausbedingungen in mindestens dreifacher Hinsicht. Erstens lassen begründungslose Likes das Sensationelle, Eingängige, Unterhaltsame gedeihen: Wo die Mehrheit siegt, hat das Seriöse und Schwierige kaum eine Chance. Zweitens verhindert das Entweder-oder der Likes oder Dislikes jede nuancierte Betrachtungsweise. Und drittens erstaunt es wenig, dass weiterempfohlene Beiträge oft gar nicht richtig angeschaut wurden: Oft vertraut man einfach dem Absender.
So entwickelt sich, Tag für Tag, Klick für Klick, schon bei völlig harmlosen Themen (Selfies, Foodies, Partybilder und allerlei Kuriosa) eine Kultur des numerischen Populismus und der spontanen Parteilichkeit, die nicht einfach verschwindet, wenn die Posts politisch werden und Demagogen Wahlkampf betreiben. Diese Kultur ist zunächst ein Resultat der technischen Rahmenbedingungen, was nicht heißt, dass es keine menschliche Lenkung gäbe, schon gar nicht, wenn so viel Geld im Spiel ist.
Facebook will seine Nutzer so lange wie möglich auf seiner Seite halten. Die beste Garantie dafür ist, Kurzweiliges und Vertrautes anzubieten. Zuckerbergs Programmierer haben den Newsfeed-Algorithmus so optimiert, dass er einem eher das präsentiert, was die eigene Perspektive bestätigt, statt das, was einen verunsichern könnte. Facebooks Informationspolitik enthüllt zugleich die Kooperationsbereitschaft der angeblichen Opfer. Die meisten haben nichts dagegen, dass ihnen genau das vorgesetzt wird, was ihre Ansichten bestätigt. Immerhin will man sich auf Facebook vor allem unterhalten, weswegen eine sensationelle Meldung zu Clintons Pizzagate allemal interessanter ist als eine ausgewogene Analyse zu Obamas Gesundheitsreform. So ist zu fragen, inwiefern wir selbst verantwortlich sind für die Macht, die wir dem Halbwahren oder Falschen, dem Sensationellen und Simplifizierenden einräumen. Beginnt das Problem der Falschmeldungen nicht schon damit, dass wir uns so bereitwillig und umfassend ebenjener Kommunikationskultur überlassen, die ebensolche Meldungen begünstigt?
Die Schule muss das Urteil schärfen lehren
Hinweise, wie man Fake News erkennt, sind zweifellos unerlässlich. Aber sie sind nur Symptombekämpfung, zumal wenn sie das Urteilen wiederum an eine App delegieren. Die Behandlung muss tiefer ansetzen und früher beginnen als bei der Falschmeldung: an den Folgen sozialer Netzwerke für die politische Meinungsbildung – in der Schule. Aber gibt es dort ein Bewusstsein für die Dimension des Problems? Das scheint nicht der Fall zu sein, wenn die deutsche Kultusministerkonferenz Ende 2016 unter „Bildung in der digitalen Welt“ vor allem mehr Computer und Internet im Klassenraum versteht. Man betrachtet die digitalen Medien offenbar noch immer eher als Unterrichtsmittel denn als Unterrichtsstoff. Das trägt zum Verständnis der Zusammenhänge wenig bei, freut jedoch die digitalen Großunternehmen, die im Bildungsmarkt schon länger das Geschäft der Zukunft sehen.
Es genügt nicht, den Schülern und Studierenden die Nutzung der neuen Technologien beizubringen und sie auf den digitalisierten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Vielmehr braucht es eine Medienbildung, die sie befähigt, souverän zwischen dem zu unterscheiden, was wahr und falsch, was wichtig und belanglos ist. Didaktisierungen sind ohne viel Technik vorstellbar und können mit der guten alten Interpretationsübung beginnen: Welche dieser Meldungen sind falsch und warum? Welche Beiträge im Kommentarteil gehen völlig am Argument des Artikels vorbei? Das übergeordnete Erkenntnisziel aber muss ein Verständnis dafür sein, wie die neuen Medien scheinbar unaufhaltsam unsere Gesellschaft verändern.
Der Autor ist Professor für Medienwissenschaft in Hongkong und Autor des Buches „Facebook-Gesellschaft“ bei Matthes & Seitz. Soeben erschien dort auch „Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien“.
Roberto Simanowski
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