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Unterm Messer. In größeren Kliniken ist die Überlebensrate höher.
© Getty Images/iStockphoto

Krankenhaus-Report: AOK drängt auf stärkere Spezialisierung

In großen Krankenhäusern ist das Sterberisiko für Patienten geringer - selbst bei Notfällen lohnt sich der längere Anfahrtsweg. Die AOK fordert deshalb Zentralisierungen.

In Deutschland gibt es zu viele kleine Krankenhäuser. Und das kostet nicht nur, es gefährdet auch die Patienten. Mit diesem Doppelbefund drängen die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) auf eine zügige Zentralisierung der Klinikstrukturen. Denn wer mit Herzinfarkt oder Schlaganfall in einer der zahlreichen Wald- und Wiesenkliniken landet, hat Studien zufolge schlechte Karten: Das Risiko, daran zu sterben, ist in kleinen Häusern deutlich höher als in größeren Kliniken mit hoher Fallzahl.

Nicht nur bei planbaren Eingriffen wie Krebsoperationen oder der Implantation von Hüftprothesen sei „eine stärkere Zentralisierung nötig und möglich“, heißt es im aktuellen AOK-Krankenhausreport, den die Kasse am Montag in Berlin präsentierte. Auch in der Notfallversorgung profitierten die Patienten davon. Zwar würden die Anfahrtswege dadurch etwas länger, allerdings betreffe dies nur wenige Regionen in spürbarem Maße.

"Bei höherer Überlebenschance sollten etwas längere Fahrstrecken kein Thema sein"

„Wenn sich die Therapiequalität erhöht und Überlebenschancen besser werden, sollten etwas längere Fahrstrecken kein Thema sein“, sagte der Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Jürgen Klauber. Er verwies auf eine Studie der AOK Hessen, wonach drei Viertel der Patienten im Wissen, besser versorgt zu werden, durchaus auch größere Distanzen in Kauf nähmen.

Die für Krankenhausplanung zuständigen Länder machten von Möglichkeiten für neue Strukturen bisher viel zu zögerlich Gebrauch, klagte der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Bund und Länder sollten hierzu bis 2025 eine Zielmarke erarbeiten, forderte er. „Ein deutlicher Schritt wäre es bereits, wenn zukünftig Kliniken mit mehr als 500 Betten nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel in der Krankenhauslandschaft bilden.“ Doch dafür müsse man dann auch deutlich mehr Geld in die Hand als die bisherige eine Milliarde pro Jahr, die über einen Strukturfonds zur Verfügung steht.

Das Sterberisiko verringert sich mit der Fallzahl

Tatsächlich kommen hierzulande bisher 80 Prozent der insgesamt 1950 Kliniken nicht auf die erwünschte Größenordnung. Doch auch diese Häuser wollen ihre Betten voll bekommen. Mit unschönen Folgen. So hat eine Studie aus dem Jahr 2017 die Kliniksterblichkeit von mehr als 13 Millionen Patienten in den Jahren 2009 und 2014 untersucht – und die Kliniken dafür nach Größe in fünf Gruppen aufgeteilt. Das Ergebnis: In den Häusern mit den meisten Patienten starben im Schnitt 26 Prozent weniger Patienten als in denen mit den geringsten Fallzahlen. Beim Herzinfarkt lag der Unterschied sogar bei 31 Prozent. Statistisch signifikant waren solche Zusammenhänge bei 19 von 25 untersuchten Indikationen.

Beispiel Darmkrebs-Operationen. Studien zufolge kommen Patienten auf eine um 21 bis 65 Prozent höhere Langzeitüberlebensrate, wenn sie sich in zertifizierten Zentren behandeln lassen. 2015 gab es hierzulande 44.000 solcher Eingriffe, durchgeführt in mehr als 1000 Kliniken. Ein Viertel der Operationen erfolgte in Häusern, deren Chirurgen bei Darmkrebs-Patienten nur höchstens 17mal im Jahr zum Skalpell greifen. Ein weiteres Viertel kam auf 18 bis 33 Operationen. Bei einer Mindestmenge von 50 Darmkrebsoperationen pro Jahr blieben bundesweit nur 385 Kliniken übrig, heißt es in dem Report. Der Anfahrtsweg für Patienten würde sich bundesweit dann zwar im Schnitt von 8,5 auf 15,6 Kilometer erhöhen. Richtig heftig würde es – bei einer Distanz von mehr als 50 Kilometern – aber lediglich für 2,5 Prozent der Patienten.

Auch bei Herzinfarkt oder Schlaganfall hilft Spezialisierung

Noch leichter wäre eine Spezialisierung bei der Endoprothetik. 226.000 Hüftgelenksoperationen zählten die Statistiker 2015. Das Risiko, ein zweites Mal unters Messer zu müssen, liegt in Kliniken mit weniger als 50 Eingriffen im Jahr um 82 Prozent höher als in Häusern mit mehr als 200 Operationen. Bei Krankenhäusern mit mehr als 100 Eingriffen beträgt die Differenz immer noch 34 Prozent. Gäbe man diese 100 als Mindestmenge vor, kämen nicht mehr 1240 Kliniken zum Zuge, sondern nur noch 827. Die Durchschnitts-Anfahrtsstrecke würde sich von 7,7 auf zehn Kilometer verlängern, weiter als 50 Kilometer hätten nur 0,1 Prozent der Patienten.

Selbst bei Notfällen, in denen es auf Minuten ankommt, rät der Berliner Gesundheitsmanagement-Experte Reinhard Busse dringend zu Spezialisierung. Er forderte, Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall oder Herzinfarkt nur noch in Kliniken mit Schlaganfall-Einheiten (Stroke Units) oder Herzkatheterlaboren einzuliefern. Beides ist bisher in mehr als jeder zweiten behandelnden Klinik nicht der Fall.

Auch sei es in solchen Fällen unverzichtbar, entsprechende Fachärzte rund um die Uhr vor Ort zu haben, sagte Busse. Würde dies zur Vorgabe, so hat er errechnet, reichten die Kardiologen und Neurologen nur für jeweils rund 600 Krankenhäuser.

Krankenhausgesellschaft kritisiert "unverantwortliche Verunsicherung der Patienten"

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) wies die Forderungen zurück. Der AOK gehe es "offensichtlich eher um eine gezielte Diskreditierung der Krankenhausmedizin und um unverantwortliche Verunsicherung der Patienten, als um saubere wissenschaftliche Recherchearbeit", sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Wenn bei den Kliniken mit wenigen Leistungen die unter Notfallbedingungen zu erbringenden Leistungen nicht herausgerechnet würden, vergleiche man "Äpfel mit Birnen".

Bei den Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung machten etwa die Notoperationen aufgrund gebrochener Hüften rund 50 Prozent der Fallzahlen aus. Diese Patienten seien wesentlich älter und hätten schwerwiegendere Begleiterkrankungen als diejenigen, die sich zu geplanten Operationen in Spezialkliniken begeben würden.  

Rainer Woratschka

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