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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan möchte mehr Kontrolle der sozialen Medien erlangen.
© Yves Herman/Reuters

Knebel für Soziale Medien: Türkei bereitet scharfes Kontrollgesetz für Twitter und Co vor

Ankara plant noch in dieser Woche zahlreiche Auflagen für die Sozialen Medien in der Türkei. Erdogan behauptet, man beziehe sich auf ein deutsches Vorbild.

„Versteht ihr jetzt, warum wir gegen die sozialen Medien sind?“ fragte Recep Tayyip Erdogan. In einer Video-Konferenz mit Funktionären seiner Regierungspartei AKP beklagte sich der Präsident der Türkei kürzlich über despektierliche Äußerungen im Internet, nachdem sein Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak, in sozialen Medien beleidigt worden war. Diese „Niedertracht“ müsse aufhören, sagte Erdogan.

Nun soll das Parlament schon in dieser Woche einen Gesetzentwurf zur stärkeren Kontrolle von Twitter und Co. verabschieden.

Der Entwurf dürfte angenommen werden, weil die AKP und ihre rechtsnationale Partnerin MHP in der Volksvertretung die Mehrheit haben. Kritiker sehen das Vorhaben als Angriff auf eine der letzten Bastionen der Meinungsfreiheit. Die Regierung rechtfertigt den Plan mit dem Argument, in Deutschland gebe es ganz ähnliche Regeln.

Zur Begründung der drastischen Schritte verweist die türkische Regierung unter anderem ausgerechnet auf das umstrittene deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Anbieter zwingt, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach einer Beschwerde zu löschen.

Ziel des neuen Gesetzes sei es, die Verbreitung von Beleidigungen und persönlichen Angriffen durch die sozialen Medien zu unterbinden, sagte die stellvertretende AKP-Fraktionsvorsitzende Özlem Zengin bei der Vorstellung des Entwurfes. Es gehe nicht darum, Twitter, Facebook, Youtube und andere Plattformen ganz zu verbieten.

Große Dienste brauchen künftig Büro in Türkei

Doch auch ohne Verbot werden die sozialen Medien durch das Gesetz geknebelt, sagen Oppositionsparteien und Experten. Die Neuregelung sieht vor, dass alle Plattformen mit mehr als einer Million Nutzern – also Twitter und andere große Anbieter – eine Niederlassung in der Türkei eröffnen müssen, die den türkischen Gesetzen unterworfen ist.

Beschwerden gegen kritische Kommentare oder Artikel müssen innerhalb von 48 Stunden beantwortet werden; zudem müssen die sozialen Medien alle Nutzerdaten in der Türkei speichern – was es den türkischen Behörden leichter machen würde, an diese Informationen heranzukommen.

Wenn ein türkisches Gericht oder eine türkische Institution verlangt, ein bestimmtes Nutzerkonto zu blocken, muss das betroffene Unternehmen dem nachkommen – so soll es in dem neuen Gesetz stehen. Das bedeute, dass die türkische Regierung die Twitter-Konten von Kritikern im In- und Ausland für die Türkei sperren lassen könnte, kommentierte der Istanbuler Rechtsprofessor Yaman Akdeniz, ein Experte für die Internet-Gesetzgebung.

Bisher kann sich Ankara mit solchen Forderungen bei den Internet-Konzernen häufig nicht durchsetzen. Sollte sich eine Plattform weigern, eine Türkei-Vertretung zu eröffnen, soll sie in der Türkei per Drosselung der Zugriffsgeschwindigkeit unbenutzbar gemacht werden.

Experten wie Akdeniz lassen den Vergleich zum deutschen Netzwerksdurchsetzungsgesetz nicht gelten. In Deutschland müssten Online-Medien nicht die Sperrung ihrer Konten auf sozialen Medien befürchten – türkische Medien in der Türkei aber schon. Zudem fällt die türkische Justiz als Kontrollinstanz aus, weil sie größtenteils der Regierung unterworfen ist.

Staatliche Organisationen in der Türkei wie das Religionsamt oder die Medienaufsicht haben außerdem schon jetzt das Recht, Internet-Inhalte sperren zu lassen. Nach einer Zählung von Akdeniz sind derzeit mehr als 400.000 Internetseiten, 10.000 Youtube-Videos und 7000 Twitter-Konten in der Türkei blockiert. Er rief Unternehmen wie Twitter und Facebook auf, die Eröffnung türkischer Büros zu verweigern.

Die türkische Regierung kontrolliert zwar die meisten traditionellen Medien, kann wegen der sozialen Medien aber trotzdem den öffentlichen Diskurs nicht lenken. Unabhängige Journalisten wie der AKP-Experte Rusen Cakir, der seine Analysen über den Internet-Fernsehkanal Medyascope verbreitet, kommen auch ohne Platz in den Zeitungen aus. Doch der Präsident werde mit dem Vorhaben scheitern, sich die sozialen Medien untertan zu machen, sagt Cakir voraus: „Wenn der Staat eine Plattform schließt, dann macht eben eine andere auf. Das bekommt weder die Türkei noch sonst ein Staat so leicht in den Griff.“ Susanne Güsten, Istanbul

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