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Viel Verkehr in Berlin. Die EU hat sich ehrgeizige Ziele auf dem Weg zur Klimaneutralität gesetzt.
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„Fit for 55“-Paket für Klimaneutralität: Europas ehrgeiziger CO2-Reduktionsplan im Realitätscheck

Die EU hat das Ziel, ihre Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. Doch kann das erreicht werden – und wie?

Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden. Um diesem ehrgeizigen Ziel ein Stück näherzukommen, sollen 54 Gesetze und Verordnungen der EU bis Ende 2022 überarbeitet werden. Somit steht nicht nur ein bürokratischer Marathonlauf, sondern harte Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten bevor: Wer leistet wie viel? Und vor allem: Wie soll das ablaufen?

Den ersten Schwung mit zwölf Rechtsakten hat die Kommission jetzt im „Fit for 55“-Paket vorgelegt. Herzstück ist die Reform des CO2-Emissionshandels: Der Markt für Verschmutzungsrechte wird stark eingeschränkt und soll bis 2030 beeindruckende 61 Prozent CO2 im Vergleich zu 2005 einsparen – das sind 20 Prozent mehr, als bislang angestrebt wurde.

Das dürfte die Preise für eine Tonne CO2 von derzeit 55 Euro auf weit über 80 drücken, schätzen Experten. Allerdings hat sich der Emissionshandel bislang als effektivstes Mittel zur Einsparung von CO2 erwiesen und seine Klimaziele sogar übererfüllt, vor allem, indem Kohlestrom durch die Erneuerbaren aus dem Markt gedrängt wurde. Bis 2030 könnte der Kohleausstieg so europaweit vollzogen sein, was die EU ihrem Klimaziel ein bedeutendes Stück näherbringen würde.

Folgen für Unternehmen

Dazu soll eine Abgabe für Unternehmen eingeführt werden, die ihre Produkte in die EU importieren möchten. Europäische Firmen sollen angesichts steigender CO2-Preise im globalen Wettbewerb geschützt werden. Das Projekt ist höchst umstritten, denn es ist nur schwer mit den Regeln der Welthandelsorganisation in Einklang zu bringen und könnte die EU-Handelsbeziehungen belasten, mahnen Experten. Andererseits könnte der Mechanismus auch ausländische Produzenten dazu anregen, CO2-ärmer zu produzieren, um weiter den EU-Markt bedienen zu können.

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Reformiert wird auch die Richtlinie für Erneuerbare Energien: Der Ökostromanteil am Energieverbrauch soll um 40 Prozent steigen. Das ist ambitioniert, derzeit liegt er bei 19 Prozent. Weil die beste Energiequelle aber diejenige ist, bei der Energie gar nicht erst verbraucht wird, möchte Brüssel die Energiesparverpflichtungen der EU-Staaten fast verdoppeln. Diese Priorisierung wird zwar von Experten begrüßt, ungelöst ist aber die Finanzierung: Denn für Energieeffizienzprojekte finden sich schwerer Investoren als beispielsweise für die grüne Stromerzeugung.

Brüssel will zum Energiesparen aanregen

Um das Energiesparen anzuregen, sollen außerdem neue Energie-Mindeststeuersätze gelten, die sich am Energiegehalt statt am Volumen orientieren – ein Paradigmenwechsel. Fossile Kraftstoffe dürften damit zusätzlich teurer werden, Steuererleichterungen für Kerosin und Schweröl sollen wegfallen, die Schifffahrt in den Emissionshandel eingegliedert werden.

Zudem sollen ab 2025 verbindliche Quoten für nachhaltige Flugkraftstoffe gelten. An der Umsetzbarkeit der Maßnahmen gibt es allerdings Zweifel. Vor allem die Tank- und Berichtspflicht für außereuropäische Airlines könne leicht an Luftverkehrsabkommen auf bilateraler und UN-Ebene scheitern.

Im Straßenverkehr dürfte sich ebenfalls einiges ändern: Bis 2035 sollen nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden. Machbar ist das durchaus, bei dieser Zielsetzung habe sich die Kommission an den ehrgeizigen Ansagen der Autobauer orientiert, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Entlang wichtiger Schnellstraßen soll künftig alle 60 Kilometer eine E-Ladestation und alle 150 Kilometer eine Wasserstofftankstelle stehen – davon ist die EU bislang weit entfernt.

Um die versprochene Klimaneutralität zu erreichen, feuert die EU-Kommission jetzt aus allen Rohren.

Das Schwierigste steht noch bevor

Dabei steht der schwierige Teil erst noch bevor: Wenn das bestehende CO2-Reduktionspotential ausgelastet ist, wird die Industrie in komplett neue Technologien und Maschinen investieren müssen, die gänzlich ohne Öl und Gas auskommen. Das wird teuer und ohne staatliche Hilfen unmöglich sein.

Noch viel schwieriger gestaltet sich aber die Aufgabe, den Verkehr und die Heizung aller Gebäude auf Strom oder Wasserstoff umzustellen. Für die EU geht es dabei um einen gewaltigen Balanceakt: Trotz all der neuen Gesetze und Vorgaben liegt es in den meisten Bereichen am Ende an den Mitgliedsstaaten, ihren Teil zu erfüllen. Zwingen kann die Kommission sie dazu nicht.

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