Sterbehilfe: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte rügt Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Deutschland wegen seines Umgangs mit dem Thema Sterbehilfe verurteilt. Eine zentrale Frage ließen die Straßburger Richter aber unbeantwortet.
Rein prozesstechnisch betrachtet ist es ein Sieg für den Kläger. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Deutschland wegen seines Umgangs mit dem Thema Sterbehilfe verurteilt – und einem Witwer aus Braunschweig, der sich und seine damals noch lebende, schwerstbehinderte Frau bei deren geplantem Suizid im Stich gelassen fühlte, eine Entschädigung in Höhe von 30 000 Euro zugesprochen. Die deutschen Behörden hatten den beiden die Genehmigung zum Kauf eines todbringenden Medikaments verweigert. Das Paar sah sich deshalb im Februar 2005 zur beschwerlichen Reise in die Schweiz gezwungen, wo sich die 55-Jährige mit Unterstützung der Sterbehilfeorganisation Dignitas das Leben nahm.
Der Kläger sei „verfahrensrechtlich“ in seinen Rechten verletzt worden, befand der Gerichtshof am Donnerstag. Die deutschen Gerichte hätten die späteren Klagen des Witwers nicht einfach mit dem Hinweis auf fehlende Klageberechtigung abweisen dürfen, sondern wegen dessen enger Verbundenheit mit der Verstorbenen „in der Sache prüfen müssen“.
Die zentrale Frage, ob es ein Grundrecht auf Sterbehilfe und einen entsprechenden Anspruch an den Staat gibt, ließen die Straßburger Richter jedoch unbeantwortet. Darüber, so merkten sie an, gebe es in den 47 Mitgliedssaaten des Europarats keinen Konsens. In nur vier Ländern sei es erlaubt, lebensmüden Patienten ein todbringendes Medikamente zu verschreiben. In Deutschland ist die Beihilfe zum Suizid zwar nicht strafbar, es gibt aber auch kein Recht darauf. Der Kläger hatte argumentiert, dass die dem Staat vorgegebene Achtung des Privat- und Familienlebens das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben einschließt.
Die Bundesärztekammer begrüßte die Zurückhaltung der Straßburger Richter ebenso wie der Gesundheitspolitiker der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Peter Liese. Aus seiner Sicht wäre es „fatal, wenn der Europarat oder eine andere europäische Institution sich in dieser Frage in deutsches Recht einmischen würde“. Deutschland habe „gute Gründe, Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Selbstmord zu verbieten beziehungsweise sehr restriktiv zu regeln“.
Die Bundesregierung plant ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Demzufolge würden Ärzte und Organisationen bestraft, wenn sie sich für die Suizidassistenz bezahlen lassen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll demnächst im Kabinett behandelt werden. Kritikern wie den Kirchen und der Bundesärztekammer geht der Entwurf nicht weit genug. Sie fordern ein Verbot jeglicher organisierter Sterbehilfe, egal ob dafür Geld fließt oder nicht.
Rainer Woratschka