Zukunft der Nato: Europa wird mehr zahlen müssen - besonders Deutschland
Eine europäische Armee, die Europa ohne Hilfe Amerikas verteidigen kann, wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Ausgesprochen peinlich ist dabei die Debatte in Berlin. Ein Kommentar.
Es wird ernst. An diesem Mittwoch hat US-Verteidigungsminister Jim Mattis seine Kollegen in Europa getroffen. Er hat in Brüssel deutlich gesagt, dass die USA nur bei höheren Ausgaben ihrer Nato-Partner ihr derzeitiges Engagement im Verteidigungsbündnis beibehalten wollen. Am Wochenende wiederum spricht Vizepräsident Mike Pence auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Auch er hat Donald Trumps Forderung im Gepäck, die Europäer sollten mehr zu ihrer Sicherheit beitragen und nicht bei den Amerikanern schmarotzen. In der Nato tragen die USA 70 Prozent der Kosten, obwohl das Bündnis in erster Linie Europa vor Angriffen schützt und die europäischen Nato-Staaten zusammen eine größere Wirtschaftskraft haben als die USA. Gerecht ist das nicht.
Ja, Europa wird mehr zahlen müssen. Das trifft besonders auf Deutschland zu. Unser Land weicht weit von der Selbstverpflichtung aller Nato-Staaten ab, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Deutschland wendet nur die gute Hälfte des versprochenen Betrags auf. In entsprechend armseligem Zustand ist das Gerät der Bundeswehr, vom Gewehr über die Panzer bis zu den Transportflugzeugen. Dabei wissen die Partner: Als Exportweltmeister profitiert Deutschland am meisten vom Frieden und von sicheren Handelswegen. Weil es den Deutschen im Vergleich zu anderen wirtschaftlich gut geht und die Steuereinnahmen sprudeln, täte es nicht mal sonderlich weh, mehr für die Sicherheit auszugeben.
Eins ist noch peinlicher, als sich ständig an die USA zu hängen: die Art der Debatte in Deutschland. Viele Äußerungen klingen so, als sei ein höherer Wehretat in erster Linie ein Entgegenkommen an Trump – verbunden mit der Kritik, warum man ausgerechnet diesem Unsympathen den Gefallen tun solle? Dieser Gedankengang ist, erstens, „postfaktisch“. Zweitens macht er die Bundesrepublik unnötig klein. Drittens legt er einen zu engen Sicherheitsbegriff an.
Dass Deutschland mehr für die Verteidigung ausgeben muss, ist nicht nur aufgrund von Verpflichtungen, die man gegenüber der NATO vor über 20 Jahren gegeben hat. [...] Die Welt ist keine Waldorfschule und Terrororganisationen wie den IS kann man nicht mit einem gemalten Ausdruckstanz zum Frieden bewegen!
schreibt NutzerIn MikeNixda2014
Mehrheit der Deutschen für höhere Verteidigungsausgaben
Seit 2014 ist eine Mehrheit der Deutschen laut Umfragen bereit, mehr für Verteidigung auszugeben. Seit 2016 steigt der Wehretat, gemessen als Prozentsatz des BIP, nachdem er zuvor über Jahrzehnte gesunken war. Beides geschah also vor Trump. Es war ein Wendepunkt. Auf einmal fühlten sich die Deutschen wieder bedroht – freilich nicht von Trump, sondern von Wladimir Putin. Die Annexion der Krim und der russische Angriff auf die Ukraine waren die Auslöser.
Seither sind die Gefahren gewachsen. Die Frage, was uns unsere Sicherheit wert ist, richtet sich in erster Linie an uns selbst. Wir Bürger müssen sie beantworten. Der Maßstab ist die Verantwortung für unser Land und für Europa. Trumps Wünsche sind da zweitrangig. Wie die Dinge heute stehen, ist eine europäische Armee, die Europa ohne Hilfe Amerikas verteidigen kann, ein ferner Traum. Wer mehr europäische Selbstbestimmung und Mitbestimmung bei der Verteidigung will, der sollte fordern: mehr Europa in der Nato, im Idealfall gut 50 Prozent. Dann müssten die USA sich auch mal Europas Wünschen beugen.
Dazu gehört ein erweiterter Begriff von Sicherheit. Er gründet sich auch auf Waffen und Abschreckung, aber nicht nur. Diplomatie, humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe fördern Sicherheit. Sie senken die Risiken unkontrollierter Massenmigration. Wolfgang Ischinger, Chef der Sicherheitskonferenz, hat drei Prozent vom BIP für das Dreifachziel Verteidigung, Diplomatie und internationale Hilfe gefordert. Das ist vernünftig und sollte konsensfähig sein. Auch mit dem strengen Finanzminister.