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Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will den Stillstand in der EU-Flüchtlingspolitik beenden.
© imago images/Reiner Zensen

Von der Leyen hält Europa-Rede: „Europa muss die Sprache der Macht lernen"

Nach dem Willen der künftigen EU-Kommissionschefin von der Leyen soll die EU ihre Kraft künftig gezielter einsetzen. Als Hebel könnte die Handelspolitik dienen.

Der Streit zwischen Deutschland und Frankreich über die EU-Erweiterung hallt noch nach. Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim letzten EU-Gipfel im Oktober den Beginn von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien gegen den Willen einer Mehrheit der EU-Staaten blockiert hatte, sprachen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag in Berlin für eine enge Anbindung der beiden Länder an die Europäische Union aus.

Es sei „extrem wichtig, dass diese Länder die Hoffnung auf die Beitrittsperspektive nicht verlieren“, sagte Merkel nach einem Gespräch mit von der Leyen im Kanzleramt mit Blick auf Albanien und Nordmazedonien. Auch von der Leyen erklärte, es sei „von großer strategischer Bedeutung“, die Länder des westlichen Balkans „so nah wie möglich“ an die EU zu binden. Sie erinnerte daran, dass Albanien und Nordmazedonien „unglaubliche Anstrengungen“ unternommen hätten, um für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen bereit zu sein. Die designierte Kommissionschefin sprach sich für gemeinsame EU-Projekte mit den beiden Ländern aus, falls die Beitrittsgespräche noch länger auf sich warten lassen.

Den Beginn solcher Verhandlungen hatte auch schon die scheidende EU-Kommission empfohlen. Allerdings haben die Mitgliedstaaten das letzte Wort, und da stellte sich vor allem Macron quer – obwohl sich nicht zuletzt Merkel beim letzten EU-Gipfel vehement für den Start der ursprünglich von Brüssel in Aussicht gestellten Beitrittsgespräche eingesetzt hatte.

2020 soll ein Vorschlag für einen Migrationspakt vorgelegt werden

Zudem erklärte von der Leyen im Kanzleramt, sie wolle in enger Absprache mit den europäischen Mitgliedstaaten im ersten Halbjahr 2020 einen Vorschlag für einen EU-Migrationspakt vorlegen. Der Stillstand auf europäischer Ebene müsse überwunden werden, erklärte sie. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei lehnen die Verteilung von Flüchtlingen in der EU nach einer Quote ab.

Am Abend führte von der Leyen bei ihrer Europa-Rede auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und der Stiftung Zukunft Berlin in Berlin ihre Überlegungen zur künftigen Migrationspolitik noch weiter aus. Auch denjenigen Staats- und Regierungschefs in der EU, die den Verteilmechanismus blockieren, sei klar, „dass das Phänomen der Migration nicht einfach weggeht“, sagte sie. Es sei eine „gute Nachricht“, dass auch den Gegnern eines Verteilmechanismus klar sei, dass jeder Mitgliedstaat solidarisch zu einer nachhaltigen Lösung beitragen müsse. „Ich glaube, dass es ein Fenster für einen Neustart beim Thema Migration gibt“, sagte sie. Allerdings fügte von der Leyen auch hinzu: „Eine einfache Lösung habe ich auch nicht im Köcher.“

Zudem erklärte die designierte Kommissionschefin, dass „soft power“ heute für die Europäer alleine nicht mehr ausreiche, wenn sie sich in der Welt behaupten wollten. „Europa muss auch die Sprache der Macht lernen“, sagte sie. Das bedeute unter anderem, dass die EU „eigene Muskeln aufbauen“ müsse, „wo wir uns lange auf andere stützen konnten – etwa in der Sicherheitspolitik“. Darüber hinaus müsse die vorhandene Kraft gezielter eingesetzt werden, wo es um europäische Interessen gehe. Als Beispiel nannte von der Leyen die Handelsbeziehungen zwischen der EU und China. „Wir können die Bedingungen beeinflussen, zu denen wir Geschäfte machen – und wir tun dies längst“, erklärte sie. Die EU müsse künftig stärker darauf achten, dass sich Unternehmen, die in den Ländern der Gemeinschaft investieren, auch an die hiesigen Standards halten, etwa was Arbeitsbedingungen und Umweltschutzvorschriften angehe.

Frankreich, Ungarn und Rumänien müssen im EU-Parlament nachsitzen

Eigentlich hätte von der Leyen bereits zum 1. November die Nachfolge des derzeitigen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker antreten sollen. Allerdings fielen drei Kandidaten für ihre künftige Kommission aus Frankreich, Rumänien und Ungarn durch: Die Französin Sylvie Goulard fand keinen Anklang bei den Anhörungen im Europaparlament, weil ihr eine Scheinbeschäftigungsaffäre aus ihrer Zeit als EU-Parlamentarierin bis heute zu schaffen macht. 2017 hatte Goulard wegen dieser Affäre als Verteidigungsministerin zurücktreten müssen. Die Kandidaten aus Ungarn und Rumänien, Laszlo Trocsanyi und Rovana Plumb, waren indes im Europaparlament bereits an der ersten Hürde im Rechtsausschuss gescheitert.

Ob von der Leyen am 1. Dezember starten kann, ist offen

Zuletzt hatte sich Kommissionssprecher Eric Mamer optimistisch gezeigt, dass von der Leyen nun tatsächlich am 1. Dezember ihr Amt antreten kann. Doch ob dies gelingt, hängt davon ab, wie die Anhörungen der drei neuen Kandidaten aus Frankreich, Rumänien und Ungarn verlaufen. Ungarn hat den Diplomaten Oliver Varhelyi für den Posten des EU-Erweiterungskommissars nominiert. Bukarest schlug derweil Adina-Ioana Valean für die Besetzung der Brüsseler Spitze vor; die Europaabgeordnete soll Verkehrskommissarin werden. Macron hat Ex-Wirtschaftsminister Thierry Breton, der bisher Chef des IT-Unternehmens Atos ist, für das Amt des Binnenmarktkommissars vorgeschlagen. Da Breton inzwischen seine Anteile an dem Unternehmen Atos verkauft hat, könnte es sein, dass er die bevorstehende Anhörung im Europaparlament besser übersteht als die ehemalige Kandidatin Goulard.

Der Brexit wird für die künftige EU-Kommission zum Problem

Kompliziert wird die Lage für von der Leyen zudem dadurch, dass der Brexit auch zum Problem für die Zusammensetzung ihrer Kommission wird. Die designierte Kommissionschefin hat den britischen Premierminister Boris Johnson in einem Brief aufgefordert, einen Personalvorschlag für die Kommission zu machen. Allerdings richtet sich die Aufmerksamkeit Johnsons, der sich mitten im Wahlkampf befindet, nicht gerade auf den Brüsseler Betrieb. Weil das Brexit-Drama inzwischen aber in die dritte Verlängerung gegangen ist, muss auch Großbritannien nach den EU-Verträgen in der Kommission vertreten sein – am besten mit einer Frau, wenn es nach von der Leyen geht.

Ursprünglich hatte es für den Plan der früheren Verteidigungsministerin, die EU-Kommission zur Hälfte mit Frauen zu besetzen, ganz gut ausgesehen. Allerdings ist das Ziel der Parität inzwischen schwer zu erreichen, nachdem Frankreich und Ungarn in der zweiten Runde nicht Kandidatinnen, sondern männliche Bewerber nominiert haben.

Von der Leyen hatte in Straßburg von Anfang an einen schweren Stand

Im Europaparlament hat von der Leyen indes von Anfang an einen schweren Stand gehabt. Im Juli hatte sie bei ihrer Wahl in der Straßburger Kammer gerade einmal eine Mehrheit von neun Stimmen. Das knappe Wahlergebnis hing auch damit zusammen, dass sie nicht bei der Europawahl als Spitzenkandidatin einer der Parteienfamilien ins Rennen gegangen war. Macron hatte das vom Europaparlament favorisierte Spitzenkandidaten-Verfahren, welches den Wahlsieger als Juncker-Nachfolger vorsah, torpediert und statt dessen der Nominierung der damaligen Verteidigungsministerin den Weg bereitet.

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