Münchner Sicherheitskonferenz: EU soll sich bei Sicherheitspolitik nicht hinter den USA verstecken
Die deutsche und die französische Verteidigungsministerin reden in München über dieselben Bedrohungen – und über verschiedene Antworten.
Der Ton bei der 54. Sicherheitskonferenz ist ernster als in den Vorjahren. Die Gefahr zwischenstaatlicher Konflikte sei gewachsen, stimmt Gastgeber Wolfgang Ischinger das Publikum am Freitagnachmittag ein. Es gebe zu viele ungelöste Krisen und Konflikte. Deshalb hat er ein dramatisches Motto für das alljährliche Treffen der globalen sicherheitspolitischen Elite in München 2018 gewählt: „An den Abgrund – und zurück?“
Ischinger will nicht nur schwarzmalen. „Fortschritt und Gefahr verbreiten sich gleichzeitig, sie schließen sich nicht aus.“ Als er zur „besten Nachricht des Tages“ kommt, der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel, brandet Beifall auf. Sicherheit könne sich aber nur ausbreiten, wenn die Verantwortlichen „die Warnzeichen wahrnehmen. Sie leuchten grellrot.“ Diplomatie und Deeskalation allein genügten nicht mehr. „Praktische Taten“ seien unverzichtbar.
Das andere Signal, das Ischinger positiv hervorhebt: Erstmals in 54 Jahren sprechen zwei Frauen als Eröffnungsredner – die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre französische Kollegin Florence Parly. Die Botschaft, die sie aussenden wollen: Europa hat verstanden. Es muss mehr tun, darf sich sicherheitspolitisch nicht länger hinter den USA verstecken. Die EU hat kürzlich die verstärkte militärpolitische Kooperation beschlossen unter dem Kürzel Pesco.
Mehr Verantwortung
Der Auftritt der beiden Damen macht allerdings auch deutlich, dass es nicht leicht wird mit dem gemeinsamen Aufbruch. Das deutsche und das französische Verständnis vom Militär und seinem Einsatz sind sehr unterschiedlich.
Beide Ministerinnen haben sich für schwarze Blazer entschieden, als wollten sie den Ernst der Lage hervorheben. Deutschland habe sich doch längst bewegt, betont von der Leyen. 2014, das war noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, haben der damalige Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und sie als Verteidigungsministerin unisono in München versprochen: Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen. Seit zwei Jahren steige der Verteidigungsetat, „nach Jahrzehnten der Schrumpfung“. Die Bundeswehr beteilige sich am Kampf gegen den IS mit Aufklärungs- und Tankflugzeugen, schütze die Ostflanke der Nato, sei mit Frankreich in Afrika im Einsatz.
Kurzer Ausflug in die harte Sprache
Die geplante Pesco-Kooperation erklärt von der Leyen flugs zum „Aufbau einer europäischen Armee“. Sie wagt sogar einen kurzen Ausflug in eine harte Sprache, die man von deutschen Politikern selten hört. Es gebe Konflikte, sagt sie, zum Beispiel mit dem IS, wo es „keine Verhandlungslösung“ gibt. Denn die redeten nicht, „die köpfen“. Dann aber flüchtet sie sich ins Ungefähre. Statt die Herausforderungen auszubuchstabieren – woher soll das Geld für die von Berlin versprochene Investition in Ausrüstung kommen, was wird aus dem deutschen Parlamentsvorbehalt? – fällt die Ministerin in die Rhetorik aus der Zeit zurück, als die Bundeswehr „vernachlässigt“ wurde, wie sie das nennt. Militär sei nie die einzige Lösung. In die Entwicklungshilfe zur Prävention von Konflikten müsse ebenso viel zusätzliches Geld fließen wie in die Verteidigung. Will sie die blamable Unterfinanzierung der Bundeswehr etwa zu einer Tugend erklären?
Die Realität hat ihr CDU-Kollege Norbert Röttgen gerade geschildert: Ein Großteil der deutschen Panzer, U-Boote und Flugzeuge ist nicht einsatzfähig. Dennoch haben Union und SPD in der Koalitionsvereinbarung die nötige Finanzierung verweigert. Röttgen sprach von „Skandal“ und „staatlichem Offenbarungseid“.
Dramatische Veränderungen
Von der Leyen behilft sich mit einem Entlastungsangriff auf die USA. Es bereite ihr „Sorge, wenn einige unserer Partner die Mittel für Diplomatie und Entwicklung immer weiter zurückfahren. Haben wir ein unterschiedliches Verständnis von Sicherheit?“
Bei dieser Frage muss man jedoch gar nicht über den Atlantik schauen. Das unterschiedliche Verständnis beginnt bereits auf der anderen Seite des Rheins. Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly leitet ihre Rede ebenfalls mit den dramatischen Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage ein: Früher sah man französische Soldaten in Paris nur am Nationalfeiertag, dem 14. Juli. Heute patrouillieren sie zum Schutz vor Terroristen in den Straßen. Das Südchinesische Meer sei zu einem Pulverfass geworden. Ausländische Mächte versuchen demokratische Wahlen zu manipulieren.
Dann breitet die Französin ihr Verständnis von den Herausforderungen aus. Sie verzichtet auf Kritik an den USA. „Unser Bündnis, die Nato, ist unverzichtbar. Wir müssen alles tun, um es zu stärken.“ Sie beschwört keine Gleichwertigkeit von Verteidigung, Entwicklungshilfe und Klimapolitik, um die Unterfinanzierung des Militärs zu beschönigen. Die „robuste europäische Verteidigung beginnt zu Hause“. Präsident Macron habe angeordnet, „unseren Truppen alle Möglichkeiten dazu zu geben“. Der Verteidigungsetat werde auf zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigen. Bis 2025 werden 300 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen, unter anderem für Pesco und gemeinsame Einheiten. Es ist ein starker Kontrast zur deutschen Bereitschaft, in Europas gemeinsame Verteidigung zu investieren.
Reden wie über einen Kranken
Die nationalen Verteidigungskonzerne müssten sich zusammenschließen, fordert Parly, damit „europäische Giganten in der Verteidigungsindustrie entstehen“, die mit den USA mithalten können. Natürlich müssten die ihre Produkte auch exportieren dürfen. „So ist nun mal die Realität.“ Aber, keine Sorge, auch in Frankreich würden die Genehmigungen streng gehandhabt. Kooperation, mahnt die Französin, dürfe kein theoretisches Konzept bleiben. Sie müsse zur Praxis werden. Parly redet über das reale Europa heute wie über einen Kranken, dem bisher die USA auf die Beine helfen mussten, weil er mit den Bedrohungen in der Nachbarschaft nicht alleine fertig wurde. Sie schließt mit einem Appell: „Mobilisieren wir unsere Energie!“ Frankreich werde „zur Stelle sein, um Hand in Hand mit Deutschland die Freiheit zu verteidigen“. Da blinkt plötzlich ein rotes Licht im Saal auf. Es ist keine grelle Warnung in Ischingers Sinn, sondern nur das Signal: Die Zeit für diese Ruck-Rede ist zu Ende. Ursula von der Leyen darf aufatmen.
Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.