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Wladimir Putin am Freitag im Kreml
© epa

Ukraine-Krise: EU-Sanktionen bedrohen Putins Macht

Der Kreml-Chef muss die EU-Maßnahmen mehr fürchten als die der USA. Wenn die Gewinne der Oligarchen einbrechen, kostet ihn das deren Loyalität. Und Geld für Sozialprogramme, mit denen er die Ärmeren ruhig stellt.

„Erstarrt in banger Erwartung“ – so titelte die Online-Ausgabe des Moskauer Wirtschaftsblattes „rbk daily“ seinen Bericht vom Beginn des Börsentages. Kauf und Verkauf russischer Blue Chips brachten es am Freitag in der Summe mit Mühe auf die erste Stelle hinter dem Komma. Zuvor hatten sich die Vertreter der 28 EU-Regierungen „grundsätzlich“ auf Wirtschaftssanktionen gegen Russland geeinigt: Einschränkungen für den Export von Schlüsseltechnologien, vor allem für den Energiesektor, den Handel mit Rüstungsgütern und solchen, die neben zivilem auch militärischen Nutzen haben.

Vor allem das Embargo für Hightech wird gefährlich

Vor allem aber: Die europäischen Finanzmärkte könnten für Russland zur No-go-Zone werden. Außerdem soll die bereits bestehende schwarze Liste von Personen und Institutionen nochmals erweitert werden, die besonderen Anteil an der Eskalation der Ukraine-Krise hatten und die deshalb bis auf weiteres über ihre Vermögenswerte in Europa nicht verfügen dürfen. Wen konkret es trifft, war, als der Arbeitstag in Moskau gestern zu Ende ging, noch nicht klar. Es soll sich jedoch um Freunde Putins handeln. Da diese, direkt oder indirekt, nahezu alle Filetstücke der russischen Wirtschaft kontrollieren, falle auch der Schaden entsprechend aus, fürchten Pessimisten. Optimisten trösten sich mit der hohen Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen. Doch sie sind in der Minderzahl. Die Mehrzahl glaubt, wenn Europa sich real zu harten Sanktionen durchringt, treffe das Russland wegen des ungleich größeren Handelsvolumens viel härter als bisherige Sanktionen der USA. Vor allem das Lieferembargo für Hightech könne Öl- und Gasförderer zwingen, Projekte in geologisch und klimatisch schwierigen Regionen wie der Arktis zu unterbrechen.

Die Finanzministerin stimmt auf höhere Steuern ein

Einigkeit besteht jedoch darüber, dass die Sanktionen die sich aus anderen – makroökonomischen – Gründen anbahnende Rezession weiter verschärfen. Selbst staatsnahe Experten halten inzwischen eine Halbierung des ohnehin dürftigen und mehrfach nach unten korrigierten Wachstums – derzeit ist von maximal 1,3 Prozent die Rede – für durchaus möglich. Dann allerdings brechen auch die Steuereinnahmen ein, was Wladimir Putin längerfristig dazu zwingen könnte, die kostspieligen Sozialprogramme drastisch zu kürzen oder gar einzustellen, im schlimmsten Falle vor den Parlamentswahlen Ende 2016. Mit der komfortablen absoluten Mehrheit der Regierungspartei „Einiges Russland“ in der Duma wäre es dann vorbei, und das bliebe nicht folgenlos für die Präsidentenwahl 2018.

Putins Spielraum aber ist begrenzt. Einbrechende Gewinne und die geplante Reichensteuer könnten ihn die Loyalität der Oligarchen kosten. Mit Anhebung der Mehrwertsteuer von derzeit 18 auf 20 Prozent würde er auch das einfache Volk gegen sich aufbringen. Daher lässt die Regierung bereits prüfen, wie man an Mittel aus dem Reservefonds herankommt, der für die Absicherung künftiger Generationen gedacht ist, wenn der Goldregen aus Erlösen von Energieexporten versiegt. Doch den plünderte der Kreml schon während der Krise 2010. Den verbliebenen Bodensatz wollen Putins Kassenwarte mit Klauen und Zähnen verteidigen. Steuererhöhungen, so Vizefinanzministerin Tatjana Nesterenko am Freitag, seien zwar extrem unpopulär, aber auf längere Sicht unvermeidlich.

Deutsche Wirtschaft einverstanden mit Sanktionen

Die deutsche Wirtschaft befürwortet inzwischen den härteren Kurs der Bundesregierung bei Wirtschaftssanktionen gegen Russland. „Angesichts des politischen Handelns des Kremls ist das nachvollziehbar“, sagte der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier, am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. Wenn es nun in der EU komme, müssten die aber befristet und mit klaren Forderungen an den russischen Präsidenten Wladimir Putin versehen werden. Der Chef des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, der vor Strafmaßnahmen gewarnt hatte, ging ebenfalls klar auf Distanz zu Russland und Putin. Wenn der seinen Weg weitergehe, sei das nicht der der deutschen Wirtschaft.

Maschinenbau könnte leiden

Angesichts der Unklarheiten über das Ausmaß, in dem die EU ihre Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts ausweiten wird, steige die Verunsicherung bei allen Beteiligten, sagte Treier. “Wir haben inzwischen die Nachricht von deutschen Unternehmen in Russland, dass (...) die russischen Firmen sagen: tut uns leid, aber ihr seid für uns keine verlässlichen Geschäftspartner mehr.“ Das gelte nicht überall, aber etwa in einem so wichtigen Bereich wie dem Maschinenbau. Damit kämen dort asiatische Konkurrenten der deutschen Unternehmen etwa aus China, Japan und Südkorea besser ins Spiel. Unter dem Druck der Ukraine-Krise hat Russland den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf acht Prozent angehoben. Damit soll auch die hohe Inflation eingedämmt werden. Die Zentralbank in Moskau hatte mehrfach den Zinssatz erhöht und schloss weitere Steigerungen nicht aus, sollte die Weltlage die Geldpolitik belasten. (mit rtr/dpa)

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