Migrationsstrategie: EU plant Quote für Flüchtlinge
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker fordert einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge für ganz Europa. Zudem soll es mehr Möglichkeiten für legale Einwanderung geben.
Eine lange Liste pflastert den Eingangsbereich des Straßburger Europaparlaments, wo am Mittwoch über Konsequenzen aus den vielen Flüchtlingsunglücken debattiert wurde. Aktivisten dokumentierten auf der Papierbahn 17.000 Fälle von Menschen, die ihren europäischen Traum mit dem Leben bezahlt haben. In der Debatte hielt der italienische Sozialist Renato Soru zwei Paar Schuhe in die Höhe, die Vater und Sohn gehörten, beide ertrunken. Der christdemokratische Fraktionschef Manfred Weber berichtete von einer Begegnung mit einer afrikanischen Familie in einem Aufnahmelager: "Sie haben Eritrea mit fünf Kindern verlassen und sind mit einem Kind in Italien angekommen."
Erstmals bekannte sich Jean-Claude Juncker zu einer Mitschuld Europas
Die Erschütterung ist echt angesichts der Tatsache, dass das Mittelmeer zur "tödlichsten Grenze der Welt" geworden ist, wie Parlamentspräsident Martin Schulz sagte. Meinungsunterschiede gibt es nicht nur bei den Lösungsansätzen, sondern auch bei Ursachen und Verantwortlichkeiten. Während EU-Ratschef Donald Tusk sagte, dass "Europa diese Katastrophen nicht verursacht hat", bekannte sich Jean-Claude Juncker erstmals zu einer Mitschuld: "Es war ein großer Fehler, Mare Nostrum einzustellen", sagte der EU-Kommissionschef unter Verweis auf das italienische Rettungsprogramm, das von einer kleineren EU-Operation namens "Triton" abgelöst wurde. "Das hat Menschenleben gekostet."
Nach einem Beschluss eines EU-Sondergipfels vor einer Woche wird die Seenotrettung, was Geld und Gerät angeht, wieder auf das Niveau von "Mare Nostrum" angehoben. Tusk widersprach der Kritik, dass die nun ausgebaute Operation auf die küstennahen Gewässer Italiens beschränkt bleibe und nicht auf die hohe See Richtung Libyen ausgeweitet werde, wo die meisten Menschen ertrinken, "Triton hat auch schon vor der libyschen Küste operiert", sagte der Pole und kündigte an, "dass in den nächsten Tagen mit den italienischen Behörden geredet wird, um die Patrouillenbereiche dauerhaft auszudehnen". Juncker pflichtete ihm in diesem Punkt bei, sagte aber auch, dass Tusks Gipfel keine dauerhafte Lösung gebracht hat: "Die Antwort war schnell, aber unzureichend."
Am 13. Mai will der EU-Kommissionschef eine Migrationsstrategie präsentieren
Die Vorschläge, die er anschließend unterbreitete, decken sich zumindest in zwei Punkten mit jenen, die das Europaparlament parallel in einer Resolution beschloss. So kündigte Juncker an, dass ein Verteilungsschlüssel für in Europa ankommende Flüchtlinge Teil einer Migrationsstrategie sein werde, die er am 13. Mai präsentieren will. Bisher nehmen fünf von 28 EU-Staaten etwa drei Viertel aller Flüchtlinge auf. Darunter ist auch Deutschland – ein Grund, warum die Bundesregierung von ihrem Nein zu einem Quotensystem abgerückt ist. "Wir müssen die Flüchtlinge auf ganz Europa verteilen", sagte Juncker, was einer Abkehr vom sogenannten Dublin-System gleichkommt. Es schreibt bisher fest, dass Asylbewerber in dem Land ihr Verfahren bekommen und untergebracht werden, wo sie zuerst EU-Territorium betreten haben. In diesem Fall sind die Mittelmeeranrainer besonders betroffen – auch wenn viele Flüchtlinge im offenen Schengenraum weiterreisen.
Konservative bleiben bei der legalen Zuwanderung skeptisch
Die Kommission will den EU-Staaten auch vorschlagen, legale Möglichkeiten der Einwanderung zuzulassen. "Man muss die Türen öffnen", sagte Juncker: "Jeder hier weiß, dass Europa nicht einzige Anlaufstelle für die Ärmsten in der Welt sein kann, aber als reicher Kontinent müssen wir unseren Teil leisten."
Während der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella Junckers "große Rede" lobte, bleiben Konservative bei der legalen Zuwanderung skeptisch – nicht zuletzt weil es in der EU mehr als 20 Millionen Arbeitslose gibt.
Ein Quotensystem, wie es nun für die EU gefordert wird, ist in Deutschland längst gängige Praxis. Für alle möglichen Verteilungsprobleme gibt es einen Aufteilungsschlüssel, der jeweils zwischen Bund und Ländern vereinbart wird. Die Basis dafür ist der Königsteiner Schlüssel, der seit 1949 gilt und bisweilen variiert wird. Berechnet wird er nach Bevölkerungszahl und Steuerkraft. Nordrhein- Westalen hat daher 21,2 Prozent der Asylbewerber und Flüchtlinge aufzunehmen, Bayern 15,3 Prozent, Baden-Würtemberg 13 Prozent. Am unteren Ende steht Bremen mit knapp einem Prozent; Berlin ist mit fünf Prozent dabei.
Die Belastungen könnten gerechter verteilt werden
Auf Europa übertragen würde das bedeuten, dass große Länder wie Großbritannien, Polen, Italien Frankreich und Spanien, die bisher nur relativ wenige Flüchtlinge aufnehmen, deutlich mehr Lasten zu tragen hätten. Dagegen könnten Länder wie Schweden, Österreich, Malta oder Ungarn, die in Relation zur eigenen Bevölkerung sehr viele Flüchtlinge aufnehmen, entlastet werden könnten. Ob Deutschland mehr oder weniger Flüchtlinge aufnehmen müsste, käme auf die konkrete Ausgestaltung eines solchen Schlüssels an.