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Gerettet! Und nun? Ein Flüchtlingsboot wird im Mittelmeer von dem Frachter "OOC Cougar" der Reederei Opielok Offshore Carriers gesichert. Die Reederei hat seit Dezember mehr als 1500 Menschen aus Seenot gerettet.
© dpa

Die EU und das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Die Festung Europa sollte abrüsten

Auch die Einreiseverbote in die EU befördern das Sterben im Mittelmeer - sie müssen gelockert werden. Durch legale Wege, nach Europa zu kommen. Denn wo ein Visum, da kein Schlepper. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Ein bisschen Trommelwirbel, ein bisschen Utopismus und was sonst? Seenotrettung ausbauen, Schlepperbanden bekämpfen, Lage in den Herkunftsländern verbessern – das sind laut jüngstem Sondergipfel so ungefähr die Reaktionen der Europäischen Union auf die zunehmende Zahl von Menschen, die auf der Flucht vor welchem Elend auch immer via Mittelmeer den europäischen Kontinent ansteuern.

Ist es anmaßend, diesem Plan vorherzusagen, dass er wenig bringen wird?

Er schreibt nur fort, was mit zu den Ursachen für das Sterben im Meer gehört: dass es für viele Menschen – nicht mal die in äußerster Not wie die Syrer, die sofort Asyl bekommen, falls sie europäischen Boden erreichen – keine einzige Möglichkeit gibt, legal nach Europa einzureisen. Damit zementiert der Plan vor allem das Großbusiness der Schlepper, das zu bekämpfen er vorgibt. Je dichter die Grenzen, desto größer der Schlepperaufwand, desto höher der Preis, desto größer der Druck auf diejenigen, die sich auf den Weg machen. Denn oft haben Großfamilien oder ganze Dörfer alles Geld, das sie aufbringen konnten, für die Reise zusammengeworfen. In der Hoffnung auf irgendeine Rendite, versteht sich.

Auch was die Afrikaner angeht, ist die Abschottungsstrategie falsch

Was die syrischen Kriegsflüchtlinge angeht, ist die Einreiseverweigerung für alle jenseits des bisher ausgerufenen Bundeskontingents von 28 000 Personen und der Länderkontingente für Syrer mit Angehörigen hierzulande (die dann für deren Unterhalt zahlen müssen) ein gigantisches Versagen für sich.

Aber auch, was die Afrikaner angeht, die nicht vor staatlichem Terror, sondern aus Angst um ihr wirtschaftliches Überleben ihre Heimat verlassen, ist die Abschottungsstrategie falsch. Wenn es nun eine Möglichkeit gäbe, mit einem Visum, das man in einer europäischen Botschaft beantragt, für beispielsweise drei Jahre nach Europa einzureisen – was wäre dann? Als Erstes würde das Schleppergewerbe zusammenbrechen, die Menschen würden sich einfach ins Flugzeug setzen oder eine Fahrkarte für eine Fähre kaufen. Es entstünde bei den Auswanderern kein Verschuldungsdruck, und der Zwang zum Erfolg fiele weg. Anders als heute wären Scheitern und Zurückkehren gut möglich.

Das Visum müsste eine Arbeitserlaubnis beinhalten, denn das ist es schließlich, was die Einwanderer wollen: arbeiten. Und zahllos sind inzwischen auch die Berichte von Unternehmen, die frisch Eingewanderte einstellen würden, um sie anzulernen und ihre Personalressourcen aufzustocken. Dazu fällt seit dem Mindestlohn die Gefahr von Lohndumping weg. Wer keinen Job findet und sich innerhalb von drei Jahren keine Existenz aufbauen kann, reist wieder aus.

Den Bezug von Hilfsleistungen müsste das Visum ausschließen, sodass die befürchtete Einwanderung in die Sozialsysteme ausgeschlossen wird. Wer nicht ausreisen will, dem bleibt nur, sich von seinen Freunden oder sonstigen freiwilligen Unterstützern durchfüttern zu lassen. Ein Schaden für die Allgemeinheit wäre auch das nicht.

Und mit jedem, der zurückkehrt und aus eigenem Erleben darüber berichten kann, dass Europa nicht das Paradies ist, für das man es aus der Distanz halten könnte, bekommt auch der Mythos Löcher, zerfasern die übertriebenen Heilserwartungen, die an diesem magischen Zielort hängen. Außerdem ließen sich die Visumsregeln ohne großen Verzug ändern, und Tempo könnte angesichts der Tatsache, dass im Sommer die meisten Flüchtlinge in die Boote steigen, ein Argument sein.

Wo keine Flüchtlinge, da keine Flüchtlingsheime

Und auch in Europa würden legale Einreisemöglichkeiten die Situation entspannen. Alles das, worüber jetzt Geschrei entsteht, würde zumindest unbedeutender. Wenn handlungsfähige Visumsbesitzer einreisen statt entmündigte Flüchtlinge müssen keine Sammellager gebaut werden, denn die reisen ein, und keiner merkt’s, weil sie für sich selber sorgen. Eine Vorlage für nationalistische Bewegungen wäre das eher nicht.

Man könnte die Visumsvergabe an Sprach- und Berufskenntnisse knüpfen, sodass in den Heimatländern ein Ausbildungsinteresse gefördert wird. Das würde dort vielleicht noch Denkprozesse und Entwicklungen in Gang setzen, die am Ende das Visum selbst überflüssig machen. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht helfen Visaerleichterungen nicht, möglich ist das. Vielleicht ist die Idee blauäugig, doch sicher nicht viel blauäugiger als die Vorstellung, von Brüssel aus Eritrea oder Syrien in Ordnung zu bringen, auf dass die Bewohner dort glücklich werden und sich den Weg sparen.

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