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Was über die Server verbreitet wird, soll gleichberechtigt sein - das ist Sinn und Anspruch der Netzneutralität im offenen Internet.
© Susanne Lindholm/pa/dpa
Update

Internet: EU-Parlament stimmt über Netzneutralität ab

Das EU-Parlament hat heute über neue Regeln zur Netzneutralität und Roaminggebühren abgestimmt. Kritiker fürchten ein "Zwei-Klassen-Internet".

Urlauber und Geschäftsreisende müssen ab Mitte 2017 in der Regel keine Extragebühren für die Handynutzung im EU-Ausland mehr zahlen. Das hat das Europaparlament in Straßburg am Dienstag beschlossen. Die Roaming-Gebühren fallen damit am 15. Juni 2017 weg. „Europäer werden den gleichen Preis zahlen wie zu Hause, wenn sie ihre Mobilgeräte auf Reisen in der EU nutzen“, erklärte der für Digitales zuständige EU-Vizekommissionschef Andrus Ansip.

Es gibt aber eine Einschränkung: Wer dauerhaft eine günstigere SIM-Karte aus dem Ausland daheim nutzt, dem kann sein Anbieter auch weiterhin Extrakosten aufbrummen. Welche Kontingente an SMS, Telefonminuten und Daten frei bleiben müssen von den Roaming-Aufschlägen, wird die EU-Kommission noch ausarbeiten.

In einem Zwischenschritt sinken die Kosten für das mobile Telefonieren, den SMS-Versand und das Internetsurfen im EU-Ausland bereits am 30. April 2016. Dann sind Aufschläge von 5 Cent pro Minute für abgehende Anrufe, 2 Cent pro SMS und 5 Cent pro Megabyte Daten jeweils plus Mehrwertsteuer erlaubt. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sprach von einer „guten Nachricht“. „Kosten für die Nutzer müssen sich stärker an den wirklichen Kosten der Unternehmen orientieren“, teilte er mit.

Schwammige Formulierung zu Spezialdiensten

Zur Netzneutralität stellt die neue EU-Verordnung klar: Niemand soll sich seine Vorfahrt im Internet erkaufen dürfen. Kritiker fürchten aber eine Einschränkung der Netzneutralität durch schwammige Formulierungen. So erlaubt die Verordnung bestimmte „Spezialdienste“, die im Netz bevorzugt werden dürfen.

„Dass Internetprovider jetzt die Möglichkeit bekommen, bestimmten Datenverkehr auf ihren Leitungen zu drosseln und anderen zu bevorzugen, schafft nicht nur ein Zwei-Klassen-Internet, sondern nimmt auch die Anreize, Leitungskapazitäten weiter auszubauen“, beklagte die Piraten-Europaabgeordnete Julia Reda.

Netzneutralität ist ein hohes Gut im offenen Internet: Sie bedeutet, dass Internet-Anbieter alle Datenpakete gleichberechtigt durch ihre Leitungen schicken, egal woher sie stammen oder welchen Inhalt sie haben. Bisher gibt es dafür allerdings keine europäischen Regeln, nur einzelne EU-Staaten haben Vorschriften. Doch die Datenmenge wächst und damit auch die Gefahr von Staus im Netz. Deshalb wurde in der Europäischen Union diskutiert, ob in Sonderfällen nicht doch manche Internetnutzer Vorfahrt bekommen sollten.

Nach den nun geplanten Regeln zur Netzneutralität, über die das EU-Parlament am Dienstagmittag abstimmen will, soll sich nach Aussagen der EU-Kommission zwar niemand seine Vorfahrt im Internet erkaufen dürfen. Sogenannte Spezialdienste wie Telemedizin oder Fernsehen im Internet sollen andere Nutzungen nicht verdrängen und nur angeboten werden, wenn es genügend Kapazität gibt, beteuert die EU-Kommission. Darüber hinaus soll es Möglichkeiten geben, gegen verbotene Inhalte wie Kinderpornografie oder gegen Cyber-Attacken vorzugehen.

Doch zugleich ist sogenanntes „Verkehrsmanagement“ ausdrücklich vorgesehen. Internetanbieter sollen zwar keine Daten schlechter behandeln. Aber es gibt Ausnahmen wie eine drohende Überlastung des Netzes. Deshalb fürchten Kritiker nun, dass die Netzneutralität durch vage Formulierungen praktisch abgeschafft wird. Unmittelbar vor der Abstimmung forderten mehr als 30 führende Startups, Internetunternehmen und Investoren aus Europa und den USA Änderungen der Pläne.

Sie befürchten, dass die Entwicklung innovativer Dienste behindert wird, wenn Internet-Provider „Überholspuren“ für bestimmte Daten einrichten und andere Daten ausbremsen dürfen. Sie wenden sich auch gegen den Vorschlag, dass der Datenverbrauch bestimmter Dienste wie Musik-Streaming aus den Datentarifen ausgeklammert wird, um diese Dienste gegenüber anderen zu bevorzugen.

Auch der Erfinder des World Wide Web, Sir Tim Berners-Lee, warnte die Europaabgeordneten vor einer Sonderbehandlung von Spezialdiensten. Es handle sich dabei um Überholspuren, für die man extra zahlen müsse. Betroffen davon seien Startups, kleine Unternehmen, Künstler, Aktivisten und Erzieher in Europa und der ganzen Welt. (AFP/Tsp/dpa)

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