Justizreform in Polen: EU leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau ein
Wegen der umstrittenen Justizreform sieht die EU-Kommission in Polen den Rechtsstaat in Gefahr. Der polnische Präsident erklärt seinerseits die Kommission für "nicht zuständig".
Die EU-Kommission macht Ernst. Brüssel leitet ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein, nachdem Staatspräsident Andrzej Duda am Dienstag ein Gesetz unterzeichnet hatte, das die Unabhängigkeit der Gerichte weiter einschränkt. Die Regierung in Warschau habe einen Monat Zeit, um auf das Warnschreiben zu antworten, teilte die Kommission am Samstag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Sie meldete erneut mehrere Kritikpunkte an der Justizreform an.
Der polnische Europaminister Konrad Szymanski wies das Vertragsverletzungsverfahren als „unbegründet“ zurück. Der Politiker der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sagte der Agentur PAP, das von Brüssel kritisierte Gesetz über die allgemeine Gerichtsbarkeit garantiere alle Prozessrechte und ermögliche die Einlegung von Rechtsmitteln.
Auch die polnische Präsidentschaft verwahrte sich gegen Kritik aus Brüssel. Die Organisation der Gerichte sei Sache der Mitgliedstaaten und die Kommission daher nicht zuständig, erklärte der Stabschef von Präsident Andrzej Duda, Krzysztof Szczerski. Die EU-Kommission begebe sich mit dem Vertragsverletzungsverfahren in eine Sackgasse und werde früher oder später zurückrudern müssen.
Konkret sieht das von Duda unterzeichnete Gesetz vor, dass der polnische Justizminister künftig alle leitenden Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte ernennen oder entlassen kann. Die EU-Kommission stößt sich nach eigenen Angaben vor allem daran, dass das Gesetz unterschiedliche Pensionsalter für Männer (65 Jahre) und Frauen (60 Jahre) vorsieht. Das widerspreche der EU-Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt.
Indem der Justizminister die Amtszeit der Richter auch über das erreichte Pensionsalter hinaus verlängern oder sie nach eigenem Ermessen vorzeitig beenden kann, werde zudem die Unabhängigkeit der Gerichte untergraben, hieß es. Dem Justizminister sei darüber hinaus kein Zeitrahmen vorgegeben, in dem er über eine Verlängerung des Richteramts entscheiden müsse.
Schon seit 2016 läuft ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, hatte Warschau am Freitag angeboten, den Dialog über die Justizreform wiederzubeleben. Polens Außenminister und Justizminister seien nach Brüssel eingeladen worden, hieß es. Timmermans hatte die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens bereits am Mittwoch angekündigt.
Die PiS-Partei hatte in den vergangenen Wochen insgesamt vier Gesetze verabschiedet, die nach Ansicht der EU-Kommission Rechtsstaat und Gewaltenteilung in dem ostmitteleuropäischen Mitgliedsland bedrohen. Ein Gesetz über die Landesjustizschule war schon Anfang Juni in Kraft getreten. Gegen zwei Gesetze zur Reform des Obersten Gerichtes und des Landesrichterrats (KRS) legte Staatspräsident Duda am Montag Veto ein.
Gegen Polen läuft schon seit Anfang 2016 ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit, weil die Regierung aus Sicht der EU-Kommission die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts (nicht identisch mit dem Obersten Gericht) beschnitt. Auf bisher zwei Empfehlungen hat Warschaus laut EU nicht zufriedenstellend reagiert. Nun schickt Brüssel eine dritte Empfehlung an Warschau. dpa