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Demonstranten im polnischen Krakau halten die Verfassung des Landes hoch - und eine Fahne der EU.
© Reuters

Umstrittene Justizreform in Polen: Nun ist Brüssel am Zug

Das polnische Parlament hat ein Gesetz zum Umbau der Justiz verabschiedet, die EU sieht den Rechtsstaat in Polen in Gefahr. Welche Optionen hat die EU?

Polens umstrittene Justizreform beschäftigt nun die Europäische Union. Beide Kammern des polnischen Parlaments haben den Umbau der Justiz gebilligt. Künftig soll die Regierung Richter am Obersten Gericht in den Ruhestand schicken und neue Richter ernennen können. Noch hat der polnische Präsident Andrzej Duda das umstrittene Gesetz nicht unterschrieben, gegen das am Wochenende in Polen Zehntausende Menschen auf die Straße gingen. Aber in Brüssel laufen bereits Vorbereitungen für eine Antwort der EU auf die Einschränkungen der richterlichen Unabhängigkeit durch die nationalkonservative Regierung in Warschau. Am Mittwoch will die EU-Kommission über mögliche Schritte gegen Polen beraten.

Bereits am vergangenen Mittwoch fand Vize-Kommissionschef Frans Timmermans deutliche Worte für die jüngsten Entwicklungen in Polen und mehrere Gesetze zum Umbau der Justiz: „Diese Gesetze erhöhen die Bedrohung für die Rechtstaatlichkeit in Polen beträchtlich.“ Jedes einzelne der vier Gesetze höhle die Unabhängigkeit der polnischen Justiz aus, betonte Timmermans. „Gemeinsam würden sie die verbleibende Unabhängigkeit der Justiz abschaffen und die Justiz unter die vollständige politische Kontrolle durch die Regierung stellen.“

Zugleich wies Timmermans darauf hin, dass die EU-Kommission schon 2016 vor einer „systematischen Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit in Polen“ gewarnt hatte. Im Januar 2016 hatte die Kommission einen „Rechtsstaatsdialog“ mit Polen begonnen. Die Regierung in Warschau legte ihre Position dar, Brüssel gab Empfehlungen ab. Zusätzlich wurde auch die Venedig-Kommission des Europarates mit dem Thema befasst. Die Kommission aus Verfassungsrechtlern warnte im März 2016 eindringlich vor einer Schwächung des polnischen Verfassungsgerichts und betonte, dadurch würden Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt. Doch weder der Rechtsstaatsdialog mit Brüssel noch die eindringliche Warnung der Venedig-Kommission zeigten in Warschau Wirkung. Wie die nun beschlossenen Gesetze zeigen, setzte die nationalkonservative Regierung ihre Pläne fort, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen.

Kommission kündigte drei Schritte an

Wie soll die EU nun darauf reagieren? Timmermans kündigte bereits drei geplante Schritte an: Im Rahmen des Rechtsstaatsverfahrens sollen in der kommenden Woche neue Empfehlungen beschlossen werden. Außerdem will die EU-Kommission in den kommenden Tagen ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen wegen der Gesetze zur Justizreform einleiten. Diese Vorhaben sind für beide Seiten nichts Neues, gegen Polen laufen wie auch gegen andere Mitgliedsländer der EU zahlreiche Vertragsverletzungsverfahren. Der dritte Vorschlag des Vizekommissionschefs ließ jedoch aufhorchen: In der Sitzung der EU-Kommission am vergangenen Mittwoch sei die Option diskutiert worden, Artikel 7 des EU-Vertrags anzuwenden: „Angesichts der jüngsten Entwicklungen sind wir sehr kurz davor, Artikel 7 auszulösen“, sagte Timmermans.

Dieser Artikel des EU-Vertrags regelt das Vorgehen gegen Mitgliedstaaten, die die gemeinsamen Werte der EU, darunter Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, verletzen. Bisher ist dieser Artikel, der in letzter Konsequenz Sanktionen vorsieht, nie angewandt worden. Der frühere Kommissionschef José Manuel Barroso bezeichnete diesen Schritt einmal als „nukleare Option“. Während der jeweilige Staat weiter seine Verpflichtungen aus den europäischen Verträgen einhalten müsste, könnten ihm bestimmte Rechte entzogen werden, allen voran das Stimmrecht im Rat. Sollte es einen solchen Beschluss gegen Polen geben, würde das Land vorerst jegliche Möglichkeit zur Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen verlieren.

Ungarns Regierungschef Orban spricht von "Inquisition"

Die Ankündigung aus Brüssel rief sogleich Polens wichtigsten Unterstützer innerhalb der EU auf den Plan: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sprach mit Blick auf den Umgang der EU mit Polen von „Inquisition“ und bezeichnete Timmermans als „Großinquisitor“. Dessen Plan, eine Verurteilung Polens zu erreichen, werde keinen Erfolg haben, betonte Orban am Wochenende – und sagte der Regierung in Warschau seine Unterstützung zu: Ungarn werde „jedes rechtliche Mittel nutzen, um sich mit Polen solidarisch zu zeigen“.

Kann Orban also eine Anwendung von Artikel 7 von vornherein verhindern? Ganz so einfach ist es nicht, wie ein Blick in den Vertragstext zeigt. Denn dieser legt ein dreistufiges Verfahren fest: In einem ersten Schritt kann der Rat feststellen, dass „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der gemeinsamen Werte durch einen Mitgliedstaat besteht, und Empfehlungen an diesen Staat beschließen. Dafür müssen vier Fünftel der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament zustimmen, zuvor muss der betroffene Staat angehört werden. Einen solchen Beschluss der Europäischen Union – und damit eine Verurteilung Polens – könnte Orban also nicht verhindern.

Beschluss über Sanktionen sehr unwahrscheinlich

Anders sieht es jedoch mit Sanktionen aus: Zwar ist für den eigentlichen Sanktionsbeschluss nur eine Mehrheit der EU-Staaten erforderlich. Allerdings ist die Voraussetzung für einen solchen Beschluss ein Votum im Europäischen Rat, wonach tatsächlich „eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ der europäischen Werte durch ein Land vorliegt. Dieser Beschluss muss – den betroffenen Staat nicht mitgezählt – einstimmig erfolgen. Hier könnte Ungarn also mit einem Nein letztlich Sanktionen gegen Polen verhindern.

Doch der EU-Kommission geht es nach eigenen Angaben zunächst um den ersten Beschluss, der in Artikel 7 vorgesehen ist – und der tatsächlich gute Erfolgsaussichten hätte. Eine solche Verurteilung Polens wäre nicht mehr und nicht weniger als ein politisches Signal.

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