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Die Corona-Fälle in Europa steigen über das Niveau in den USA.
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Europa liegt jetzt vorn: EU-Länder überholen USA bei täglichen Corona-Neuinfektionen

Über Monate verzeichnete die USA deutlich mehr Corona-Fälle pro eine Million Menschen. Doch nun spiegeln sich die Rekordwerte in Europa auch kontinental wieder.

Nach einem Rückgang der Fälle in den Sommermonaten rückt der Fokus der Corona-Pandemie wieder auf die Länder der Europäischen Union (EU). Zwar sind die USA nach wie vor das gemessen an den registrierten Infektionen am stärksten von der Pandemie betroffene Land weltweit. Doch die Länder der EU verzeichnen erstmals seit Anfang April wieder mehr tägliche Covid-19-Fälle pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche als die Vereinigten Staaten.

Am Dienstag meldeten die Gesundheitsbehörden dem europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) durchschnittlich 150 Fälle pro 100.000 Einwohner. In den USA waren es 149.

Tags zuvor hatte der Wert, den die US-Bundesstaaten an die nationale Gesundheitsbehörde CDC gemeldet hatten, knapp über dem der EU-Länder gelegen. Am Mittwoch wuchs der Abstand der Fälle pro 100.000 Einwohner zwischen den EU-Ländern und den USA auf mehr als zwei an – 155 zu 153.

Anders ausgedrückt: In den USA mit ihren 328 Millionen Einwohnern wurden in den vergangenen sieben Tagen rund 360.000 Neuinfektionen registriert, in der EU mit ihren 447 Millionen Einwohnern waren es rund 487.000 Neuinfektionen.

Letztmals mehr Fälle pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche hatten die EU-Länder am 2. April gegenüber den USA. Damals waren es in der EU durchschnittlich 64 und in den USA 63. An diesem Tag erreichten die Fälle pro 100.000 Einwohner in Europa ihren Höhepunkt.

Rund zwei Wochen nach den strengen Maßnahmen und dem Lockdown Mitte März flachte die Kurve deutlich ab, auf zwischenzeitlich durchschnittlich 10 Fälle pro 100.000 Einwohner in der EU. In den USA hingegen stiegen die Fälle pro 100.000 Einwohner auf mehr als 200 im Juli und sanken bis Mitte September auf knapp über 100, um dann wieder anzusteigen auf jetzt 153.

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In der EU stiegen die Fälle seit Juli langsam, aber kontinuierlich an – seit Anfang Oktober dann allerdings wieder rasant. Innerhalb eines Monats haben sich die Zahlen in der EU mehr als verdoppelt.

Die Entwicklung in der EU kommt nicht überraschend, angesichts der Zahlen in den am schwersten betroffenen Ländern: Spanien, das mit mehr als 900.000 Positiv-Tests seit März am schwersten betroffen ist, erreichte vor einem Monat mit mehr als 14.000 Neuinfektionen binnen eines Tages seinen Höhepunkt.

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Ähnlich sieht es in anderen EU-Ländern aus: Die Niederlanden verzeichneten etwa erst am Dienstag einen neuen Höchstwert mit rund 7000 Positiv-Tests. Und Frankreich registrierte am Samstag den höchsten Stand an täglichen Neuinfektionen – knapp 27.000 Menschen hatten sich nachweislich mit dem Coronavirus infiziert.

Dazu sei gesagt, dass sowohl in der EU als auch in den USA mehr getestet wird als im Frühjahr – auffällig ist aber, dass auch die Positivrate der Tests in der EU steigt. In den USA liegt sie seit August mit wenigen Schwankungen bei rund fünf Prozent. In den schwer betroffenen EU-Ländern ist die Rate seit dem Sommer allerdings teils deutlich gestiegen.

Am bedeutendsten ist der Anstieg des Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl in den Niederlanden. Dort stieg die Rate von im August rund zwei Prozent auf derzeit rund 17 Prozent.

In Italien und Frankreich lag die Positivrate im August ebenfalls bei rund zwei Prozent – und ist bis jetzt auf rund mehr als sieben Prozent in Frankreich und rund zehn Prozent in Italien gestiegen. In Spanien und Deutschland stieg sie am wenigsten seit August: In Spanien von rund sieben auf neun Prozent, in Deutschland von ein auf nun 2,5 Prozent.

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Dementsprechend beunruhigt äußerte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Donnerstag über die Corona-Situation in Europa. Diese sei Anlass zu „großer Sorge“, sagte WHO-Regionaldirektor Hans Kluge. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen steige ebenso wie die der Krankenhaus-Einweisungen. Die durch das Virus ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19 stehe inzwischen an fünfter Stelle der Todesursachen, die Schwelle von 1000 Todesfällen täglich sei überschritten.

Man wisse heute sehr viel präziser als während der ersten Corona-Hochphase im März, was getan werden könne und müsse, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, sagte Kluge. Regierungen sollten sich nicht mit relativ kleinen Maßnahmen zurückhalten, um so größere Beschränkungen wie im Frühjahr zu vermeiden. „Eine Menge liegt in unseren Händen – in den Händen der Regierungen und der Menschen.“

Die Entwicklung bedeute nicht, dass man zurück in der Situation Mitte März sei. Obwohl zwei- bis dreimal mehr Infektionen pro Tag registriert würden als im April, gebe es fünfmal weniger Todesfälle. Dennoch sei man bei der WHO sehr besorgt, machte Kluge klar.

Prognosen verlässlicher epidemiologischer Modelle deuteten darauf hin, dass ein länger anhaltendes lockeres Vorgehen die tägliche Sterblichkeit bis Januar 2021 auf das Vier- bis Fünffache der Werte aus dem April 2020 katapultieren könnte. Dieselben Modelle zeigten jedoch auch, dass durch einfache Maßnahmen wie das konsequente Tragen von Masken und die strikte Kontrolle von Versammlungen bis Anfang Februar schätzungsweise 281.000 Leben in der europäischen Region gerettet werden könnten. „Die Pandemie wird ihren Kurs nicht von selbst umkehren, aber wir werden. Eine verhältnismäßige und gezielte Reaktion ist der Weg voran“, sagte Kluge. (mit dpa)

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