Gewalt in Aleppo und Homs: EU-Länder im Grundsatz einig über weitere Syrien-Sanktionen
Die EU will Syrien wirtschaftlich und diplomatisch weiter isolieren. Während Aleppo von Explosionen erschüttert wird, kämpfen die Menschen in der syrischen Protesthochburg Homs um ihr Überleben.
Die EU-Länder haben sich im Grundsatz auf weitere Sanktionen gegen Syrien verständigt, um die anhaltende Gewalt gegen Regierungsgegner zu stoppen. Auf Expertenebene einigten sich die EU-Länder unter anderem darauf, die Transaktionen mit der syrischen Zentralbank zu kappen, wie mehrere EU-Diplomaten am Freitag in Brüssel der Nachrichtenagentur AFP sagten. Zudem soll es ein Importverbot für syrisches Phosphat geben. Syrien verkauft rund 40 Prozent seiner Phosphatausfuhr in die Europäische Union.
Einigkeit besteht den Angaben zufolge auch darüber, den Handel von Gold und anderen Edelmetallen mit Syrien zu verbieten. Das neue Sanktionspaket soll beim nächsten Treffen der EU-Außenminister am 27. Februar in Brüssel offiziell beschlossen werden. Bis dahin könnten aber noch weitere Strafmaßnahmen hinzukommen.
Die EU-Länder diskutieren Diplomaten zufolge weiterhin über den deutschen Vorschlag, die kommerzielle Luftfahrt nach Syrien auszusetzen. Auch weitere Regierungsvertreter könnten noch mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt werden.
Bomben in Aleppo, Homs unter Dauerbeschuss
In Aleppo starben am Freitag mindestens 28 Menschen und 235 wurden verletzt, als zwei Autobomben vor den Zentralen von Staatssicherheit und militärischem Geheimdienst explodierten. Die Bilder des syrischen Staatsfernsehens zeigten die zertrümmerten Fassaden der Gebäude, zerstörte Autos sowie Helfer mit Mundschutz, die Leichenteile einsammelten und in die Kameras hielten. Die Wirtschaftsmetropole Aleppo war bisher von den Unruhen gegen das Regime von Präsident Baschar al Assad weitgehend ausgespart geblieben.
Derweil ging die syrische Armee am Freitag nun schon den siebten Tag mit erbarmungsloser Härte gegen die Aufständischen in Homs vor. Videobilder dokumentierten das Schicksal zahlloser Verletzter in provisorischen Verbandsräumen, denen Ärzte nicht mehr helfen können, weil es am Nötigsten fehlt. Wie Human Rights Watch (HRW) berichtete, sind alle medizinischen Einrichtungen der Stadt total überlastet. Mindestens drei Hilfsstationen seien von Granaten getroffen worden. Nach Angaben von Aufständischen zieht die Armee nun immer mehr Panzer um die Stadtteile zusammen, die von der „Freien Syrischen Armee“ verteidigt werden. Offenbar plant das Regime in den nächsten Tagen einen Großangriff. In anderen Wohnvierteln gingen die Soldaten in Razzien von Haus zu Haus und verschleppten Bewohner.
Für die Anschläge in Aleppo machte das Staatsfernsehen erneut „bewaffnete terroristische Banden“ verantwortlich. Ein Sprecher der „Freien Syrischen Armee“ dagegen beschuldigte die Staatsführung, die Bluttaten selbst inszeniert zu haben, um Panik zu säen und von der Militäroffensive in Homs abzulenken.
Die Führung im Nachbarland Libanon zog Truppen an der Grenze zu Syrien zusammen. Zuvor war berichtet worden, über die Grenze würden Waffen in die syrische Protesthochburg Homs geschmuggelt, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Armeequellen erfuhr. Ein Augenzeuge berichtete, zahlreiche Soldaten seien am Morgen an die Grenze beordert worden, wo sie Kontrollpunkte errichtet hätten.
Die Großstadt Homs liegt unter Dauerbeschuss. Beobachter befürchten, der mit mehr als 650 000 Einwohnern drittgrößten Stadt Syriens drohe heute das Schicksal von Hama vor 30 Jahren. Damals hatte Assads Vater Hafis al-Assad den Widerstand in der Stadt mit 300 000 Einwohnern mit allen Mitteln bekämpfen lassen. Bisher wurden in Homs nach Angaben syrischer Oppositioneller mehr als 2850 Menschen getötet - Tendenz schnell steigend. Wie viele Tote es 1982 in Hama gab, ist unklar. Heutige Schätzungen bewegen sich zwischen 10 000 und 30 000 Toten.
In Homs bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete unter Berufung auf Regimegegner, landesweit seien am Donnerstag mindestens 126 Menschen von den Regierungstruppen getötet worden, allein 107 in Homs. Aktivisten baten um Hilfe vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond.
Die Stadt ist umzingelt; Armeeposten kontrollieren alle Zugangsstraßen. Seit zehn Tagen konnten keine Lebensmittel mehr in die Stadt geliefert werden. Essen und Medikamente werden knapp. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gehen auch die Heizölvorräte zur Neige. In ganz Homs gibt es nach Angaben von Aktivisten nur noch drei Ärzte, einer wurde durch Granatenbeschuss verletzt.
US-Präsident Barack Obama sagte nach einem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti am Donnerstag in Washington, beide Länder hätten großes Interesse daran, das „abscheuliche Blutvergießen“ in Syrien zu beenden. Die USA und Italien seien sich einig, die jetzige Regierung in Damaskus, die „ihr Volk angreift“, müsse ersetzt werden.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) bezeichnet die Lage von Verletzten und Kranken in Syrien als katastrophal. Ärzte und Patienten mit Schussverletzungen müssten damit rechnen, in der Klinik verhaftet zu werden, sagte die MSF-Präsidentin Marie-Pierre Allié in Paris. „Weil die Leute aus Angst nicht mehr in Krankenhäuser gehen, haben die Mediziner und Pfleger ein Parallelsystem aufgebaut.“ Patienten würden nun in Untergrund-Kliniken behandelt - allerdings unter prekären Umständen.
Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami sieht keine Chancen mehr für ein baldiges Ende der Gewalt in Syrien. Der Bürgerkrieg sei längst im Gange, erklärte der 65-Jährige im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa in Mainz. Er kommuniziere sehr rege über oppositionelle Verbindungen per Telefon, Handy und Internet mit seinen Freunden, die in Syrien untergetaucht seien, berichtete Schami. Ein baldiges Ende der Gewalt in seiner Heimat könne nur durch ein Wunder geschehen, wenn ein Teil der Machthaber den anderen ausschalte und der Opposition die Hand reiche.
Mitglieder der syrischen Exil-Opposition in Deutschland forderten einen bundesweiten Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge. Sie kritisierten in Berlin, dass bislang nur einzelne Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein auf die Abschiebung von syrischen Flüchtlingen verzichteten.
Unterdessen hat die Schweiz trotz Sanktionen gegen das syrische Regime drei Millionen Euro für einen hohen Geheimdienstmann und Cousin des Präsidenten Baschar al Assad freigegeben. Die Entscheidung zugunsten des 41-jährigen Hafis Machluf, dessen Bruder Rami Machluf als einer der reichsten Männer Syriens und Geldgeber des Assad-Clans gilt, setzten Schweizer Anwälte durch. Es handele sich um einen Ausnahmefall, zu dem man nicht im Einzelnen Stellung nehme, sagte eine Sprecherin des zuständigen Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) in Bern am Freitag. Der Oberst Hafis Machluf leitet in Damaskus eine Abteilung des Geheimdienstes. Laut Recherchen der Schweizer Webzeitung „20 Minuten“ hat der Assad-Cousin über seine Anwälte geltend gemacht, er müsse Zahlungsverpflichtungen aus dem Kauf eines Grundstücks in Syrien nachkommen, die vor Verhängung von Sanktionen durch die Schweiz im Mai 2011 entstanden seien.
UN prüfen Entsendung von Beobachtern nach Syrien
„Die Ausweisung der Diplomaten ist ein positives Signal“, sagte Abdelhamid al Jasem, der Vorsitzende des Deutsch-Syrischen Vereins zur Förderung der Freiheiten und Menschenrechte. „Einige Syrer sind inzwischen so eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen, an Demonstrationen teilzunehmen.“ Regimegegner seien von syrischen Agenten oder von Anhängern der mit Assad verbündeten libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah bedroht worden.
Wegen Spitzel- und Drangsalierungsvorwürfen sitzen bereits zwei Mitarbeiter der Botschaft in Untersuchungshaft. Sie haben keinen Diplomatenstatus. Zudem wird gegen sechs Verdächtige ermittelt. Libyen weist sogar alle Mitarbeiter der syrischen Botschaft in Tripolis aus.
Nach fast elf Monaten der Gewalt mit 6000 Toten prüfen die Vereinten Nationen die Entsendung von Beobachtern und eines Sondergesandten nach Syrien. „Wir erwägen eine gemeinsame Mission mit der Arabischen Liga“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nach einer Tagung des Sicherheitsrates in New York. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, sprach von wahllosen Attacken auf Wohngebiete, von einem Massaker an der eigenen Bevölkerung.
Der Führungsstab des Syrischen Nationalrats beriet im Golfemirat Katar, wie das Blutvergießen gestoppt werden könnte. Der Rat setzt inzwischen stärker auf militärische Optionen. Unter anderem wird über Waffenlieferungen an Deserteure diskutiert. Unter arabischen Diplomaten wird erwogen, den von mehreren Oppositionsgruppen gegründeten Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen. (mit AFP/dpa)
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