Flüchtlinge: EU-Innenminister reden über die Türkei als sicheres Herkunftsland
Claudia Roth: Türkei ist kein sicheres Herkunftsland. Angriffe auf Kurden, Angriffe der PKK: Wer die Türkei als sicher für Flüchtlinge ansehe, könne "eigentlich jedes Land" so deklarieren, sagt die Grünen-Politikerin.
Die EU-Innenminister wollen in Zukunft mehr Einwanderer abschieben. Derzeit würden weniger als 40 Prozent der abgelehnten Asylbewerber die Europäische Union auch wieder verlassen, hieß es bei einem EU-Innenministertreffen in Luxemburg. Zu diesem Zweck soll die EU-Grenzschutzbehörde Frontex Abschiebeflüge für die Mitgliedstaaten organisieren. Zudem diskutieren die Minister, die Türkei auf eine Liste „sicherer Drittstaaten“ zu setzen, um Flüchtlinge dorthin zurückschicken zu können. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte das am Dienstag im Europaparlament vorgeschlagen. Auch Innenminister Thomas de Maizière (CDU) wäre „dafür“.
Dagegen spricht sich die stellvertretende Bundestagspräsidentin Claudia Roth (Grüne) dagegen aus, die Türkei zum sicheren Herkunftsstaat zu erklären. Die Grünen-Politikerin, die sich gerade am Zaun entlang der ungarischen Grenze aufhält, sagte dem Tagesspiegel: „Da halte ich gar nichts davon.“
Wer die Türkei zum „sicheren Herkunftsstaat“ erkläre, „könnte eigentlich jedes Land zum sicheren Herkunftsland machen“, sagte Roth. „Dann weiß ich nicht mehr, wo die Grenze ist.“ Roth wies auf die gewalttätigen Auseinandersetzungen und bürgerkriegsartigen Szenen im Konflikt um die Kurdenfrage hin, auch auf die Angriffe der verbotenen Kurdenpartei PKK.
Die „Pressefreiheit ist hinter Gittern“, fügte sie hinzu. Dieser Vorschlag sei nur zu erklären als „Preis, den man dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dafür bezahlt, dass er die Grenzsicherung für die Europäer übernimmt“.
Auch wenn die Türkei mit 2,1 Millionen syrischen Flüchtlingen eine große Verantwortung übernommen habe, sei sie dennoch nicht bereit, deshalb über die Kurden, die Menschenrechtsverletzungen und die autoritäre Regierung in der Türkei zu schweigen, sagte Roth.
Innenminister kommt mit Asylzentren in Afrika nicht weiter
Innenminister de Maizière bringt immer wieder Anlaufstellen für Flüchtlinge in Afrika ins Gespräch. Auch im Beschluss des Bund-Länder-Gipfels tauchen sie auf. Der Bund werde prüfen, „ob – wie in Niger – weitere Anlaufstellen und Einrichtungen in Nordafrika eingerichtet werden können“. In den Anlaufstellen sollen Flüchtlinge über Asylverfahren und legale Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa informiert werden. Wer keine Aussicht auf eine legale Einreise hat, soll unterstützt werden, in sein Heimatland zurückzukehren.
Praktische Erfahrungen gibt es allerdings nicht, denn auch das von der EU geplante Zentrum in Niger befindet sich noch in der Planungsphase. Niger ist ein wichtiges Transitland für Afrikaner, die nach Europa wollen. Bis Ende des Jahres sollte das EU-Zentrum hier arbeitsfähig sein. Auf Nachfrage heißt es beim Berliner Innenministerium nun aber, es sei „voraussichtlich Mitte 2016 einsatzbereit“.
Partner der EU bei dem Vorhaben sind das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Migrationsorganisation (IOM), die eigene Beratungsstellen in Niger betreiben. Deren Mitarbeiter können mit dem EU-Anliegen aber offenbar nur wenig anfangen. Praktisch alle Migranten, die durch Niger reisten, hätten keine Chance, legal nach Europa zu kommen, heißt es. „Und sie werden sich durch nichts davon abbringen lassen, ihren Weg illegal fortzusetzen.“
Unverständnis ernten die Europäer aber auch bei einigen der anvisierten Partner für die geplanten neuen Anlaufstellen in Nordafrika. Zum Beispiel in Tunesien: Der Generalsekretär der tunesischen Regierungspartei Nidaa Tounes, Mohsen Marzouk, sagte kürzlich bei einem Besuch in Berlin, eine solche Anlaufstelle sei für sein Land nur als Teil eines größeren Pakets denkbar. Dazu gehörten auf jeden Fall weitere Militärhilfen und auch Entwicklungshilfe. „Bisher gibt es aber nicht einmal einen konkreten Vorschlag.“