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Syrisches Flüchtlinge in einem Camp im türkischen Suruc.
© Sedat Suna/dpa
Update

Gipfel in Brüssel: EU gespalten in der Flüchtlingskrise

Die Staats- und Regierungschefs sind uneins beim Thema Flüchtlinge – und setzen auf die Türkei. Die Zahl der bisher über Europa verteilten Flüchtlinge nannte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz eine "Schande".

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise stellen sich die EU-Staaten selbst ein verheerendes Zeugnis aus. Die Umsetzung bereits beschlossener Maßnahmen sei "ungenügend", heißt es in der Erklärung, die der EU-Gipfel am Donnerstag verabschiedete. Nun müssten alle Teilnehmer die "Defizite" und "Unzulänglichkeiten" an den Grenzen "dringend" in Angriff nehmen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte scharf, dass statt 160.000 bisher nur rund 200 Flüchtlinge über Europa verteilt wurden: "Diese Zahl ist eine Schande." Der Vorschlag, eine neue EU-Grenzpolizei notfalls auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates zur Sicherung dessen EU-Außengrenze einzusetzen, wurde dagegen überraschend wohlwollend aufgenommen. Der Gipfel wies die EU-Innenminister an, sich bis spätestens Juni zu einigen.

Derweil wird die Spaltung der Europäischen Union in der Flüchtlingspolitik immer offenkundiger: Vor Beginn des eigentlichen EU-Gipfels am Donnerstagnachmittag kam zum zweiten Mal eine Gruppe von Staaten zusammen, die ihr Vorgehen aufeinander abstimmt, den bei der Verteilung von Asylbewerbern unkooperativen Staaten Konsequenzen androht und die Kooperation mit der Türkei vorantreibt. „Wir werden den Druck immer weiter erhöhen gegenüber den Ländern, die meinen, dass Solidarität eine Einbahnstraße ist“, sagte Österreichs Kanzler Werner Faymann, der das Treffen in der Brüsseler Vertretung seines Landes einberufen hatte.

Seiner Einladung gefolgt waren die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Finnland, Schweden, Portugal, Griechenland, Slowenien und der drei Beneluxländer. Frankreichs Präsident François Hollande ließ sich aber von seinem Europaminister vertreten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker versuchte, die Bedeutung des Treffens herunterzuspielen: Seine Teilnahme diene dazu, die Europäische Union als Ganzes in den Prozess einzubinden. Die Runde sei „kein geschlossenes Forum“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel anschließend. Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte dagegen die geringe Zahl vertretener Staaten. „Die Spaltung der Europäischen Union ist unübersehbar“, sagte der SPD-Politiker.

Ankaras Premier ist extra angereist

Inhaltlich ging es beim Treffen der Koalition der Willigen hauptsächlich darum, die jüngst vereinbarte Kooperation mit der Türkei bei der Grenzsicherung mit Leben zu füllen. Ankaras Premier Ahmet Davutoglu war daher eigens nach Brüssel gereist. Ziel sei es – wie Merkel mit ihrem CDU-Parteitagsbeschluss im Rücken sagte – , „die illegale Migration zu reduzieren, und zwar stark und deutlich“. Dies soll bis Frühjahr geschehen, wenn es bei besserem Wetter wieder mehr Überfahrten geben könnte. „Wir dürfen den Winter nicht untätig verstreichen lassen“, mahnte Faymann. Für Februar setzte er ein weiteres Treffen an.

Die Türkei plant derweil, ab Januar eine Visapflicht für Syrer, die aus Drittstaaten einreisen, einzuführen, wie Davutoglu in Brüssel sagte. Diese Visumspflicht gilt ausdrücklich nicht für Bürgerkriegsflüchtlinge. Es handele sich um eine "Sicherheitsmaßnahme" angesichts der hohen Zahl von Menschen mit gefälschten Pässen, die insbesondere aus Ägypten oder dem Libanon in der Türkei einträfen, sagte der türkische Regierungsvertreter weiter.

Unter der Voraussetzung, dass es künftig viel weniger illegale Grenzübertritte nach Griechenland gibt, soll es ein legales Umsiedlungsprogramm aus der Türkei geben. Laut Merkel geht es um "bestimmte Kontingente, die von europäischen Staaten aufgenommen werden auf freiwilliger Basis". Dafür hatte die EU-Kommission am Dienstag ein Prozedere vorgeschlagen.

Konkrete Zahlen wurden offiziell noch nicht beschlossen. "Wir können nicht Beschlüsse fassen, bevor die Grenzsicherung funktioniert", sagte der Wiener Kanzler Faymann, der freilich selbst zuvor die Zahl 50.000 ins Spiel gebracht hatte. Ein EU-Diplomat bestätigte dieser Zeitung, "dass über ein Kontingent von 50.000 diskutiert worden ist und es keinen Widerstand dagegen gab". Diese Zahl könnte aus der bereits beschlossenen, aber noch nicht umgesetzten EU-internen Verteilung von 160.000 Flüchtlingen herausgerechnet werden. Allerdings ist noch nicht einmal klar, ob sich alle elf anwesenden Staats- und Regierungschefs an dem "Resettlement"-Programm beteiligen werden: Schweden ist gerade in einer politisch heiklen Lage. Belgien hat eine Beteiligung bereits ausgeschlossen.

Drohungen gegen den Club der Unwilligen

Ganz offen droht die Staatengruppe, denen viele sogenannte "Nettozahler" angehören, inzwischen mit finanziellen Konsequenzen. Nächstes Jahr steht in Brüssel eine Überprüfung des EU-Finanzrahmens bis 2020 an, von dem die Länder Osteuropas überproportional profitieren. "Da werden wir uns ganz genau ansehen, welche Länder sich in der Flüchtlingsfrage besonders unsolidarisch verhalten", sagte Faymann der "Welt". Viktor Orban griff den Fehdehandschuh auf: "Linke Regierungschefs" setzten die Haushaltsgespräche "gegen tapfere Länder wie Ungarn ein, die ihre Meinung sagen", so der Premier aus Budapest: "Sie sollen uns nicht erpressen - das ist kein europäisches Benehmen."

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