Erst 6,5 Prozent der EU-Bürger geimpft: EU exportiert Impfstoff trotz eigener Engpässe – wie passt das zusammen?
Impfungen in Arztpraxen scheiterten am Impfstoff-Mangel, argumentiert die Bundesregierung. Unterdessen hat die EU bis März fast 25 Millionen Dosen exportiert.
In Deutschland mehren sich die Forderungen, endlich mit den Impfungen in den Hausarztpraxen zu beginnen. Gesundheitsminister von Bund und Ländern haben jedoch beschlossen, dass Impfungen in Praxen zwar so schnell wie möglich, nicht jedoch vor Mitte April starten sollen. Bis dahin soll verfügbarer Impfstoff weiterhin zuerst an die bestehenden regionalen Impfzentren der Länder gehen. Ursprünglich war Anfang April angedacht.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verwies am Freitag wieder darauf, dass die Mengen der verfügbaren Impfstoffe noch nicht für die Praxen ausreichten. So sei mit einer Lieferung des neu in der EU zugelassenen Impfstoffes des US-Konzerns Johnson & Johnson nicht vor Mitte April zu rechnen.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach geht sogar davon aus, dass flächendeckende Impfungen in Arztpraxen erst ab Mai starten könnten. Doch fehlt es tatsächlich an Impfstoff oder ist der Mangel eher hausgemacht?
Kritik erntet die EU dafür, dass sie Impfstoff exportiert, obwohl die Mitgliedsländer selber über zu wenig Impfdosen verfügen. Berichten zufolge liefert sie knapp die Hälfte des Impfstoffes, den sie selbst bekommt, an andere Länder, obwohl sie selbst mit Engpässen konfrontiert ist: Erst 6,5 Prozent der EU-Bürger sind geimpft.
Durch Exporte könnte ein Impfkrieg vermieden werden
In Israel haben bereits 58 Prozent der Bevölkerung die erste Dosis erhalten, in Großbritannien immerhin 33 Prozent und in den USA 18 Prozent. Großbritannien selbst exportiert keine Impfstoffe, die im Land zugelassen sind, erklärte jedoch, überschüssige Dosen an das benachbarte Irland zu geben – nachdem die Briten selbst durchgeimpft seien.
Ob das Ausmaß der Exporte öffentlich gemacht werden solle, sei in den Korridoren der Europäischen Kommission heiß diskutiert worden, berichtet die „New York Times“ (NYT).
Auch seien EU-Beamte verärgert darüber gewesen, dass beispielsweise das Unternehmen Astrazeneca das Vereinigte Königreich begünstige, indem es eine stetige Versorgung Großbritanniens aufrechterhielt und gleichzeitig die Dosen für die EU drastisch kürzte.
Experten sagen, es sei ein kluger Schachzug der EU gewesen, die Exporte nicht zu drosseln, auch wenn diese Entscheidung für den Moment nicht populär sei.
Durch die Exporte werde zum einen ein Impfkrieg abgewendet und zum anderen die schwer angeschlagene Weltwirtschaft wieder angekurbelt. Die EU importiert weltweit Inhaltsstoffe von 83 Herstellern, um die Impfstoffe herzustellen.
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Für Regierungen sei es immer bequem zu sagen, dass ihnen die Hände gebunden sind, weil sie wegen der Europäischen Kommission nicht genügend Impfstoffe haben, sagte Jacob Funk Kirkegaard, Senior Fellow des German Marshall Fund und des Peterson Institute in Brüssel der NYT.
Tatsächlich hätten jüngste Daten gezeigt, dass etwa 40 Prozent der von der EU beschafften und an die Mitgliedsstaaten verteilten Dosen ungenutzt auf Halde lägen, was zum Teil auf eine schlechte Logistik zurückzuführen gewesen sei. „Es wird immer schwieriger, mit dem Finger auf Brüssel zu zeigen und zu sagen, dass sie nicht genug tun“, führt Kirkegaard in der NYT weiter aus.
EU exportiert knapp die Hälfte der Impfstoffe, die sie bekommt
Bis zum 3. März hatten die EU-Staaten insgesamt 24,6 Millionen Dosen Corona-Impfstoff in 31 Länder der Welt exportiert. Dies geht aus einem Dokument der europäischen Kommission hervor, dass der Onlinezeitung EUobserver vorliegt.
Die meisten der Exporte gingen nach Großbritannien, einen der weltweiten Spitzenreiter in Sachen Impfen: 8,3 Millionen Dosen erhielt der Ex-EU-Mitgliedsstaat, 3 Millionen Dosen Kanada, 2,7 Millionen Japan, jeweils 2,5 und eine Million der heiß begehrten Impfstoffe wurden nach Mexiko und die Vereinigten Arabischen Emirate exportiert.
Mehr als eine halbe Million Dosen gingen außerdem nach Chile, Singapur, Malaysia, die USA und Australien. In den vergangenen Wochen waren immer wieder Exportstopps von Impfstoffen diskutiert worden. So drohte der italienische Premierminister Draghi, gegen Pharmafirmen vorzugehen, die versprochene Impfstoffdosen nicht einhielten. Italien verbot zudem als erstes EU-Land den Export des Astra-Zeneca-Impfstoffs. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rechnet mit weiteren Ausfuhrblockaden.
Während die EU fleißig Impfstoffe exportiert, kann sie selbst wohl vorerst nicht mit Unterstützung, beispielsweise aus den USA, rechnen: Die USA planen EU-Kreisen zufolge derzeit keine Exporte des Corona-Impfstoffes vom britisch-schwedischen Pharmakonzern Astrazeneca in die Europäische Union. Die US-Regierung habe erklärt, die EU solle zunächst nicht damit rechnen, in den USA hergestellte Impfdosen zu erhalten, sagten zwei hochrangige EU-Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters.
Damit könnten neue Rückschläge auf die Impfkampagne in Europa zukommen, nachdem bereits vorher Pharmakonzerne Lieferverzögerungen bekanntgegeben hatten. Astrazeneca lehnte eine Stellungnahme zu dem Vorgang ab. Zudem kündigte das Unternehmen an, die zugesagten Impfstoff-Lieferungen für das erste Jahresquartal zu senken.
Astrazeneca hatte vergangenen Monat mitgeteilt, nur rund die Hälfte der 180 Millionen Impfeinheiten im zweiten Jahresquartal in die EU liefern zu können. Später hatte der Konzern erklärt, die Lücke mit Lieferungen des Impfstoff aus außereuropäischen Standorten – darunter die USA – zu verkleinern.
Der Wirkstoff Astrazeneca ist in den USA noch nicht zugelassen, dennoch kommen die USA mit dem Impfen sogar besser voran als ursprünglich geplant. Während Präsident Joe Biden zunächst eine Impfung aller Erwachsenen US-Bürger bis Juli versprach, hatte Biden nun Impfungen für alle ab Mai angekündigt. Derweil erscheint das Impfversprechen von Jens Spahn, spätestens bis Herbst allen Erwachsenen in Deutschland ein Impfangebot zu machen, in der aktuellen Situation immer unrealistischer.