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Palermo, Ende Juni: Eine Mitarbeiterin des italienischen Roten Kreuzes nimmt Migranten in Empfang.
© imago

Flüchtlinge in Europa: EU bietet Italien Geld – schließt aber die Grenzen

In Italien sind 2017 schon mehr als 85.000 Flüchtlinge gelandet. Die Regierung bittet um Europas Solidarität: Die Antwort: Brüssel schickt Geld nach Libyen, Wien schließt die Grenze.

Um Italien bei der Bewältigung wachsender Flüchtlingszahlen zu helfen, will die EU weitere 45 Millionen Euro an Libyens Küstenwache zahlen und ein „Seerettungs- und Koordinationszentrum“ dort einrichten. Um Italiens Migrationsmanagement zu verbessern, will die EU-Kommission dem Land sofort 35 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Im „Aktionsplan“, den Brüssel am Dienstag vorstellte und der „mehr Solidarität“ verspricht, ist allerdings keine Rede davon, dass andere EU-Staaten Flüchtlinge aufnehmen müssen, die in Italien landen.

Das waren in diesem Jahr bereits mehr als 85.000 Menschen, 20 Prozent mehr als 2016. Seit die über Land führende Balkanroute weitgehend verschlossen ist, kommen wieder wie früher verstärkt Menschen über die zentrale Mittelmeerroute, meist von Libyen aus, das Italien am nächsten liegt. Die EU-Kommission appelliert lediglich an die anderen Mitgliedstaaten, die Übernahme von Geflüchteten aus Italien zu „beschleunigen“. Die hatten Übernahme zugesagt, ihre Verpflichtungen aber bisher nur teils erfüllt. Der „Aktionsplan“ der Kommission soll Grundlage für Entscheidungen des informellen Treffens der EU-Innen- und Justizminister an diesem Donnerstag in der estnischen Hauptstadt Talinn sein.

Antwort auf Roms Appell: Wien will Brennerpass schließen

Österreich reagierte auf Italiens Hilfsappell vom Wochenende mit der Ankündigung, am Brennerpass wieder Grenzkontrollen einzuführen: „Angesichts der Migrationsentwicklung in Italien“ werde das „sehr zeitnah“ geschehen und auch das Bundesheer eingesetzt, verkündete Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil am Montag. Das erste schwere Gerät hat Wien bereits nach Tirol verlegen lassen: Vier Radpanzer vom Typ Pandur sollen im Grenzgebiet im Bedarfsfall umgehend die Straßen absperren. Die Reaktion der italienischen Regierung hat nicht lange auf sich warten lassen: Am Dienstag wurde der österreichische Botschafter in Rom, René Pollitzer, ins Außenministerium zitiert.

Die angekündigte Brenner-Schließung ist nur ein Beispiel dafür, wie wenig Italien auf die Unterstützung seiner Nachbarn und EU-Partner bei der immer dramatischer werdenden Flüchtlingskrise zählen kann. Frankreichs neuer Staatspräsident Emanuel Macron hatte zwar kurz nach seiner Wahl verlauten lassen, dass man Italien jahrelang sträflich alleine gelassen habe und dass sich dies endlich ändern müsse. Die Taten, die er folgen ließ, gingen freilich in die gegenteilige Richtung: Macron liess Dutzende von Flüchtlingen, die trotz der strengen Kontrollen den Grenzübergang in Ventimiglia überwinden konnten, umgehend wieder zurückschicken.

Auch Spanien und Frankreich schließen sich ab

Vom italienischen Vorschlag, dass NGO-Schiffe mit geretteten Flüchtlingen künftig ab und zu auch französische oder spanische Häfen anlaufen dürfen, um damit die Häfen in Sizilien, Kalabrien und Sardinien etwas zu entlasten, will Macron ebenfalls nichts wissen: Frankreich sei zwar bereit, politische Flüchtlinge aufzunehmen, aber das Aussortieren von Kriegsflüchtlingen und Armutsmigranten soll weiterhin Rom übernehmen. Auch Madrid hat bezüglich der Benutzung des Hafens von Barcelona umgehend abgewinkt. So bleibt die Drohung der italienischen Regierung im Raum, die italienischen Häfen für nicht-italienische NGO-Schiffe zu sperren oder zumindest einen "Verhaltenskodex" für die privaten Retter zu erlassen, bei dessen Missachtung sie die Häfen nicht mehr anlaufen dürfen.

In der Migrationspolitik hätten die EU-Länder zwar immer viele gute Absichten bekundet und schöne Erklärungen verabschiedet, erklärte gestern Maltas Premier Joseph Muscat vor dem EU-Parlament in Strassburg, wo er eine Bilanz über die halbjährige maltesische EU-Präsidentschaft zog. Aber immer dann, wenn eine tatsächliche Solidarität der EU-Partner nötig gewesen wäre, sei diese ausgeblieben. "Wir müssten uns alle schämen für das, was wir gemacht haben. Wir haben versagt", betonte Muscat. Bezeichnenderweise hat Muscat, in dessen Präsidentschaft die Migration ein zentrales Thema gewesen war, vor fast leeren Rängen geredet.

Angesichts des demonstrativen Desinteresses ist auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Dienstag der Kragen geplatzt: Er bezeichnete das EU-Parlament als "lächerlich".

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