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Mit einem Piks ist alles weg? Die Hoffnung auf ein Pandemie-Ende hängen am Impfstoff.
© REUTERS/Dado Ruvic/File Photo

Corona-Impfstoff und die Frage nach der Reihenfolge: Ethikrat unterspielt den Nutzen-Aspekt

Das Positionspapier zur Impf-Reihenfolge beruft sich auf "ethische Grundsätze". Aber bei knappen Ressourcen sind die nur die halbe Debatte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Corona wirft ununterbrochen Fragen nach Prioritäten auf und verlangt nach Reihenfolgen. Wer ist zuerst dran, wer danach und warum? Über Fragen, die Öffnungszeiten und -bedingungen von Betriebs-, Bildungs- oder Kulturstätten betreffen, wird offen gestritten. Sie alle wollen systemrelevant sein und geschäftsfähig bleiben.

Etwas weniger offen ist das Visier in der Debatte um die Impfreihenfolge, die umso dringlicher wird, je näher die Zulassungen für geeignete Vakzine rücken. Zuletzt wurde dazu ein Positionspapier von Ethikrat, Ständiger Impfkommission (Stiko) und Wissenschaftsakademie Leopoldina präsentiert, das sich mehrfach auf nicht näher definierte „ethische Grundsätze“ beruft. Von denen ausgehend nennt es vier Impfziele (Verhinderung schwerer Covid-19-Erkrankungen und -Todesfälle, Schutz von medizinischem und pflegerischem Personal, Übertragungsverhinderung und Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen) und dafür drei bevorzugt zu impfende Personengruppen.

Was das Papier ausspart, ist die Frage, bei welchen Gruppen die Impfungen den größten Nutzen hätten. Tatsächlich kommt das Wort „Nutzen“ in den Ausführungen zu den Priorisierungen nicht vor. Das mag in Deutschland aus der Geschichte heraus verständlich sein, aber wenn ein Impfstoff knapp ist, ist die Frage, wie man ihn möglichst nutzbringend einsetzt, nötig.

Sie wegzulassen führt nicht dazu, dass die Priorisierungsdebatte gut nachvollziehbar und damit für die Bevölkerung akzeptabel wird, was laut Papier sehr wichtig ist. Es führt eher zu dem Eindruck, dass da nur die halbe Debatte geführt wird. Es wäre interessant, die Meinung des Institutionen-Trios zu hören zur Frage, ob sie eine 94-jährige moribunde Bettlägerige zu impfen raten oder einen 30-Jährigen, der berufsmäßig mobil ist. Oder nach welchen Kriterien medizinisches und pflegerisches Personal dran ist: nach Bedeutung für reibungslose Betriebsabläufe oder nach Patientenkontakten?

Eine Priorisierungsdebatte findet auch international statt. Die EU will eine Verteilung in Europa sicherstellen. Auch hier ist die Frage: Welche Länder bekommen zuerst, was sie zu brauchen behaupten? Deutschland, weil es Millionen Fördergelder in die Impfstoffentwicklung gepumpt hat, oder Polen, weil die Bevölkerung dort mehr als die in Deutschland unter Corona leidet? Das Land mit den wenigsten Intensivbetten, weil da Geimpftsein potenziell lebenserhaltender ist als dort, wo es viele Intensivbetten gibt? Es wäre schön, wenn die Debatte um eine gerechte Impfreihenfolge rasch konkreter würde. Auch, um den Eindruck zu zerstreuen, man laufe den Ereignissen wieder hinterher. Denn – auch das ist klar – eine solcher Impfplan hätte längst fertig sein müssen.

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