Wahl zur Kommissionschefin: Es wird knapp für Ursula von der Leyen
Die Grünen konnte die Verteidigungsministerin nicht von sich überzeugen. Aber auch bei den Liberalen und den Sozialdemokraten gibt es Abweichler.
Wo es zunächst schien, dass sich der Wind klar in Richtung Wahl von Ursula von der Leyen zur erstem deutschen EU-Kommissionspräsidentin seit rund 50 Jahren drehen könnte, deutet nun alles auf eine ziemliche Zitterpartie hin. Für ihre Wahl braucht sie am kommenden Dienstag 376 Stimmen der 751 Abgeordneten. Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale waren alle an dem von den EU-Staats- und Regierungschefs ausgehandelten Personalpaket beteiligt, sollen also in dem fein austarierten Lösungsmodell wichtige Ämter bekommen – und für die Mehrheiten im Parlament sorgen.
Als stärkste Kraft bei der Europawahl soll die Europäische Volkspartei (EVP) das Amt des Kommissionspräsidenten erhalten, in Person eben von Ursula von der Leyen (CDU). Die drei Lager kommen auf 444 Stimmen. Da die Grünen bereits ihr Nein festgelegt haben, darf es hier nicht all zu viele Abweichler geben. Doch das Gegenteil deutet sich an – die Verteidigungsministerin wird kämpfen müssen.
Nach dem rund sechsstündigen Kreuzverhör am Mittwoch sind die Zweifel bei vielen Abgeordneten größer statt kleiner geworden, von der Leyen blieb in vielem vage, konnte wenig wirklich neues ankündigen. Ein führendes Mitglied der Sozialdemokraten in Europa schätzt die Mehrheitsverhältnisse in seiner Fraktion nach der Anhörung so ein: 85 bis 90 Stimmen für von der Leyen zu 65 bis 60 Nein-Stimmen, darunter alle 16 deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament.
Das hat Vizeparlamentspräsidentin Katarina Barley bereits bestätigt. Die beiden stärkeren Gruppen aus Italien und Spanien könnten dagegen eher zustimmen. Denn im Rahmen des ausgehandelten Pakets wurde der italienische Sozialdemokrat David Sassoli bereits zum neuen Präsidenten des Europaparlaments gewählt; der spanische Sozialist Josep Borrell soll neuer EU-Außenbeauftragter werden.
Auch die Liberalen stehen nicht komplett hinter Leyen
Das bedeutet, dass von der Leyens aus den drei Lagern nur 380 bis 385 erhalten könnte – denn auch bei den Liberalen könnte es Abweichler geben. Zugleich kann von der Leyen aber auf einige Dutzend Stimmen aus der rechten bis rechtskonservativen Ecke hoffen, von Abgeordneten aus Polen, Ungarn oder der italienischen Lega. „Nicht schön“, kommentiert ein Europapolitiker diese Aussichten – denn so ein Start wäre mehr als holprig. Aber gerade auch das linke Lager hat viel dazu beigetragen, mit dem Bemühen abwertenden Begriffen wie „Geschacher“ und „Hinterzimmer“ das Ansehen der europäischen Demokratie diskreditiert.
Das Parlament selbst war nicht in der Lage einen mehrheitsfähigen Kandidaten vorzuschlagen – und es ist bei aller Kritik eine Leistung, wenn 28 demokratisch gewählte Staats- und Regierungschefs es schaffen, sich in schwierigen Verhandlungen auf ein großes Paket zu einigen. So sollte eigentlich das Amt der Präsidentin der Europäischen Zentralbank erst später verhandelt werden, da aber Deutschland bei der Kommissionspitze zum Zuge kommen soll, musste eine 1:1-Lösung mit Frankreich her – und die bisherige IWF-Chefin Christine Lagarde genießt international viel Vertrauen, auch wenn man gerade in Deutschland eine Abkehr von der lockeren Geldpolitik Mario Draghis fordert. Der zuvor als Favorit gehandelte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann geht in diesem Fall erstmal leer aus.
Sollte Leyen scheitern, wird ein neuer Kompromiss schwer
Dass bereits mit Sassoli erste Elemente des Pakets umgesetzt worden sind, macht es so schwer, bei einer Ablehnung von der Leyens eine neue Lösung zu finden. Denn der EVP stünde eigentlich weiter der Posten des Kommissionspräsidenten zu, da der belgische Premier, der Liberale Charles Michel, neuer EU-Ratspräsident werden soll.
Das macht den von dem Grünen-Europapolitiker Sven Giegold jetzt wieder ins Spiel gebrachten Vorschlag, die angesehene liberale EU-Kommissarin Margrethe Vestager aus Dänemark als Kompromisslösung zur Kommissionschefin zu wählen, unrealistisch. Wenn zugleich nur jemand Kommissionschef werden soll, der bei der Europawahl auch auf dem Wahlzettel stand, bliebe nur ein alter Bekannter als Lösung: Manfred Weber von der CSU.
Von der Leyen skizzierte bei den Anhörungen ein erstes Programm, versprach jedes Thema in der EU-Kommission prioritär zu behandeln, dass das Europäische Parlament vorschlägt – eine Art Legislativrecht wie im Deutschen Bundestag. Der Ausstoß von CO2 soll stärker bepreist werden, eine europäische Armee aufgebaut werden. Doch vieles klingt nach „Weiter so“.
Zu wenig für die Grünen. Fraktionschefin Ska Keller sagt: „Wir haben von den Wählern das Mandat für einen Wechsel bekommen und sehen nicht, wie der Wechsel mit dieser Kandidatin möglich ist.“ Und ihr Fraktionskollege Sven Giegold ergänzt, die gesamte Fraktion werde gegen sie stimmen. „Beim Klimaschutz ohne Ambition und bei der Rechtsstaatlichkeit in Polen, Ungarn, Malta unklar. Vage Antworten statt europäischer Handlungswillen. Europa braucht eine stärkere, klarere Kommissionspräsidentin“, twittert er. Und betont, eine Ablehnung verursache kein Chaos, sondern biete neue Chancen. Aber: Die Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament kann er auch nicht ändern.