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Sie wehrten sich mit Mut, Willensstärke und Phantasie gegen eine diktatorische Übermacht.
© promo

Das Buch zur friedlichen Revolution 1989: „Es war schön und sehr leicht“

Peter Wensierski erlebte als West-Korrespondent das Entstehen der Opposition in der DDR mit. Jetzt traf er die Protagonisten von einst wieder und rekonstruiert die Ereignisse von damals. Geschichte als Roman.

Erster Gedanke: Dies ist das Buch zum Denkmal. Seit Jahren wird über das Freiheits- und Einheitsdenkmal gestritten. Brauchen wir es überhaupt, wo soll es stehen, muss es wirklich die Wippe sein? Ein Land, das sich glücklich schätzen darf, durch eine friedliche Revolution eine Diktatur gestürzt zu haben, verliert sich im Klein-Klein. Doch dann kommt Peter Wensierski, der als damals jüngster westlicher Korrespondent das Entstehen der Oppositionsbewegung in der DDR miterlebt hatte, und er schildert die Ereignisse mit jener anarchischen Fröhlichkeit, die als eines ihrer Merkmale bis heute unterschätzt wird. Es sind Geschichten, die von Jugendlichkeit zeugen, von Frechheit, Spontanität und Selbstbestimmungsdrang. Diese Generation, kaum einer war älter als 25 Jahre, kämpfte um das Recht, Rechte zu haben. „Sie wollten nichts verlieren als ihre Ketten und eine Welt gewinnen“, wie es im Kommunistischen Manifest heißt.

Zweiter Gedanke: Dieses Buch ist das Denkmal. Ein trotziges, lebensdurstiges Motto steht ihm voran: „Eines Tages müssen wir alle sterben. Aber an allen anderen Tagen nicht!“ Mit Leidenschaft fürs Detail erzählt Wensierski die Ereignisse nach, als wären sie soeben geschehen und er selbst unmittelbar dabei gewesen. Dokumentarische Fiktionalisierung nennt er die durchaus riskante Reportagetechnik. Das Ergebnis gibt ihm recht: Spannend, nah, fast wie ein Roman liest sich das Buch.

Anita, Uwe, Anke, Frank – anfangs dauert es, bis der Leser die handelnden Personen einordnen und auseinanderhalten kann. Aber nach und nach wachsen ihm deren Gedanken, Gefühle, Charaktere ans Herz. Rund vierzig von ihnen hat Wensierski wiedergetroffen. Anhand von Fotos, Briefen, Tagebüchern und Tonbändern wird die Zeit zwischen Friedensgebet und dem Marsch an der Pleiße, Montagsdemonstrationen und der Lektüre von Vaclav Havels Essay „Die Macht der Machtlosen“ (1978, auf Deutsch: „Versuch, in der Wahrheit zu leben“) rekonstruiert. Am Ende des Buches schildert der Autor die weiteren Lebensverläufe der Revolutionäre. Ein Glossar und eine Chronik helfen zusätzlich.

Vollendeten die Leipziger die Revolution von 1848? Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Pressefreiheit – darum ging es in der Frankfurter Paulskirche wie in der Leipziger Nikolaikirche. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal, die Wippe, soll jetzt gebaut werden. Als haptische Ergänzung zu diesem Buch erfüllt es sicher noch seinen Sinn.

– Peter Wensierski: Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution. Wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte. 464 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017,

19,99 Euro.

Malte Lehming

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