Verschuldung in Berlin: "Es kann praktisch jeden treffen"
Immer mehr Deutsche verschulden sich. Wie man sich schützen kann und welche Rolle die Wirtschaft spielt, erklärt die Berliner Schuldenberaterin Laura Stradt.
Jeder zehnte Deutsche kann seine Rechnungen nicht mehr pünktlich begleichen. Frau Stradt, Sie arbeiten seit sieben Jahren als Schuldenberaterin. Wer sucht bei Ihnen Hilfe?
Wir haben ein sehr gemischtes Publikum, weil die Gründe für Verschuldung so verschieden sind. Wir betreuen viele sozial benachteiligte Menschen, aber auch Scheidungen oder plötzliche Arbeitslosigkeit können zu Überschuldung führen. Es kann praktisch jeden treffen.
Neueste Zahlen belegen, dass sich immer mehr junge Menschen verschulden.
Junge Menschen haben noch keine Rücklagen, verdienen weniger und ihnen fehlt die Finanzkompetenz. Schwierig wird es immer bei den Lebensübergängen – Auszug, Ausbildung, Rente –, wenn sich das Einkommen plötzlich ändert.
Können die Deutschen immer weniger mit Geld umgehen?
Die finanziellen Herausforderungen werden größer. Es ist gesellschaftlich gewollt, dass man sich verschuldet – es hilft ja der Wirtschaft, wenn viel Umsatz gemacht wird. Deswegen gibt es heute Null-Prozent-Finanzierungen und Dispokredite. Dass der Verbraucher dadurch verleitet wird, über seine Verhältnisse zu leben, wird aber ihm angelastet – nicht der Wirtschaft.
Wie kann man sich schützen?
Konsumenten sollten vor jedem Kauf ansparen. Bei langfristigen Verträgen sollte man vorsichtig sein. Außerdem raten wir dazu, die eigenen Ausgaben mit einem Haushaltsbuch zu überprüfen. Klingt altmodisch, aber dadurch bekommt man ein Gefühl über die eigenen Ausgaben. Denn über Geld wird nicht gesprochen und über Schulden noch weniger.
Wie erleben Sie die Betroffenen?
Der Druck ist enorm hoch. Viele haben Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. Sie zögern uns aufzusuchen, dabei suchen wir Lösungen. Wir schauen, wo es Einsparungsmöglichkeiten gibt, verhindern neue Schulden und versuchen mit den Gläubigern Vergleiche zu erreichen.
Wann sollte man sich bei Ihnen melden?
Da gibt es keine Regel. Manche können schon 2000 Euro nicht abstottern und geraten in die Schuldenfalle. Entscheidend ist der Leidensdruck. Je früher man sich meldet, desto besser. Ein „zu spät“ gibt es aber nicht.
Raten Sie auch zur Privatinsolvenz?
Solange es Alternativen gibt, nicht. Die Privatinsolvenz ist ein bisschen in Verruf geraten, aber für viele Klienten ist sie die einzige Chance. Man muss dann sechs Jahre schuldenfrei bleiben, aber die meisten Menschen sind einfach nur erleichtert, wieder eine Perspektive zu haben.
Die Fragen stellte Felix Hackenbruch.