Forderungen auf dem Petersberger Klimadialog: „Es ist zentral, die Konjunkturprogramme im Sinne des Klimaschutzes zu gestalten“
Deutsche Unternehmen fordern zum Start des Petersberger Dialogs, ein ökologisches Konjunkturprogramm. Entscheidend ist, wohin die Wirtschaftshilfen fließen.
Der gemeinsame Appell von 70 Unternehmen, die sich zu Beginn des Petersberger Klimadialogs für mehr Klimaschutz aussprachen, war wenige Stunden alt, da schlug der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) am Montagmorgen mit einer eigenen Erklärung auf. Am europäischen 2050-Ziel der Klimaneutralität hält die deutsche Industrie fest, heißt es darin. Aber: „Die Zwischenziele für 2030 müssen aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Lage dringend auf den Prüfstand.“
Das klingt gar nicht nach: Volle Fahrt voraus für mehr Klimaschutz auch in der Coronakrise. Konkretisieren möchte der BDI seine Aussage zwar nicht. Doch vor allem ein höheres Klimaziel der EU für 2030 dürfte dem Verband Probleme bereiten. Vor höheren Belastungen durch höhere Klimaziele und CO2-Grenzwerte gerade in der Coronakrise hatte der BDI schon gewarnt.
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Die EU-Kommission arbeitet an einem Plan, wie die EU ihr Klimaziel von derzeit 40 Prozent weniger CO2 bis 2030 auf „mindestens 50 bis 55 Prozent“ weniger CO2 erhöhen könnte.
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, will bis September eine Art Folgenabschätzung vorlegen, die zeigt, wie sich ein höheres Klimaziel auf die europäische Wirtschaft auswirkt. Gleich nach der Folgenabschätzung will sich die EU-Kommission festlegen. Knackpunkt ist, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs dazu bekennen müssen. Es herrscht das Einstimmigkeitsprinzip.
Corona macht Petersberg zum Höhepunkt des Klima-Jahrs
Im Bundesumweltministerium, in dem am Montagmorgen beim Auftakt des Petersberger Klimadialogs die Hygienevorschriften gewahrt bleiben, geht es auch kurz um das neue Klimaziel der EU: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die mit großem Abstand zu anderen Teilnehmern auf der Bühne saß, sagte, dass sie den Vorschlag der EU- Kommission für ein höheres Klimaziel der EU auf jeden Fall unterstütze. In der Bundesregierung gebe es dazu aber noch keine abgestimmte Position.
Umweltverbände hoffen, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede auf dem Petersberger Klimadialog am Dienstag klar zu einem neuen, höheren Klimaziel der EU bekennt. Dieses ist Bestandteil des Green Deals, der gigantischen grünen Wachstumsstrategie für Europa. Dass Merkel ein entsprechendes Bekenntnis abgeben wird und auch sagt, wie hoch dieses sein muss, ist allerdings unwahrscheinlich. Es bedarf noch einigen Vorfühlens bei der heimischen Industrie und in der eigenen Partei.
Der Petersberger Klimadialog, den Merkel selbst vor zehn Jahren als Antwort auf die gescheiterte Klimakonferenz in Kopenhagen ins Leben gerufen hat, findet in diesem Jahr virtuell statt. Knapp 30 Minister aus aller Welt sind per Video zugeschaltet.
Da die Weltklimakonferenz, die im November im schottischen Glasgow stattfinden sollte, wegen der Coronakrise abgesagt wurde, ist der Petersberger Klimadialog schon jetzt der Höhepunkt der internationalen Klimapolitik in diesem Jahr. Und somit eine rare Gelegenheit für die Umweltminister, auf das Problem der Erderwärmung hinzuweisen.
Konjunkturprogramme im Sinne der Klimapolitik
Da aber die Coronakrise dann eben doch die Agenda bestimmt, hat Umweltministerin Schulze die Frage, wie die Wiederbelebung der Wirtschaft den Klimaschutz sichern kann, in den Mittelpunkt gerückt. „Große Teile der Wirtschaft befinden sich gerade in weiten Teilen der Welt in einer Art Stillstand. Wir wissen derzeit nicht, wie lange die Pandemie noch andauern wird. Aber es wird eine Zeit nach der Pandemie geben – und die Regierungen werden eine zentrale Rolle beim Neustart der Wirtschaft spielen“, sagte Schulze in ihrer Eröffnungsrede.
Es sei nun zentral, die kommenden Konjunkturprogramme im Sinne des Klima- und Umweltschutzes zu gestalten. „Dass dies nicht Bürde, sondern Chance ist, haben viele Unternehmen bereits erkannt“, so die Umweltministerin weiter. Und es seien nicht die „üblichen Verdächtigen“.
Schulze meint den Aufruf der 70 Unternehmen. Sie hatten sich vor Beginn des Petersberger Klimadialogs in einem Appell an die Bundesregierung gerichtet: Sie fordern, wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bewältigung der Corona- und der Klimakrise eng zu verzahnen sowie relevante Konjunktur- und Investitionsprogramme systematisch klimafreundlich auszurichten.
Um Investitionen und Projekte nicht zu gefährden und die Planungssicherheit für die Wirtschaft zu erhalten, sollte der klimapolitische Kurs der Bundesregierung beibehalten werden, fordern die Unternehmen. Zu den Unterzeichnern gehören: Thyssen Krupp, Wacker Chemie, Covestro, Salzgitter, Bayer. Auch die Allianz, die Automobilzulieferergruppe Dräxlmaier, Eon, Heidelberg Cement, Puma und die Telekom haben sich dem Appell angeschlossen. Hinzu kommen Rossmann, Vaillant und Viessmann, der Outdoor-Ausrüster Vaude und der Handelskonzern Otto.
Viele Unternehmen für 2-Grad-Ziel
Initiiert wurde der Aufruf von der Stiftung Zwei Grad, einem Bündnis von Unternehmen, das sich für das Zwei-Grad- Ziel einsetzt und entsprechende politische Rahmenbedingungen fordert. „Die Unternehmen sind schon mitten drin im Umbau ihrer Produktionsprozesse, sie wollen jetzt Planungssicherheit. Wir sind schon auf dem Weg zur Klimaneutralität und drehen nicht mehr um“, sagt Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung.
In dem Appell wird das neue Klimaziel der EU nicht erwähnt. Nallinger sagte dem Tagesspiegel: „Grundsätzlich unterstützen wir alles, was nötig ist, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.“ Wenn ein höheres Klimaziel von 50 bis 55 Prozent erforderlich sei, unterstütze die Stiftung dies.
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Auch wenn die Appelle deutscher Unternehmen für den Klimaschutz in der Coronakrise sehr stark sind, gibt es gegensätzliche Stimmen. So forderte der CDU- Wirtschaftsrat jüngst eine „Überprüfung“ aller Klimaziele. Nach dem Ende der Pandemie müssten „prinzipiell alle Sonderbelastungen der deutschen Wirtschaft auf den Prüfstand“ gestellt werden, die einer Erholung im Wege stünden, sagte der Generalsekretär des Rates, Wolfgang Steiger.
Dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zufolge sollte die CO2-Bepreisung der kleinen Industrie beim nationalen Emissionshandel um zwei Jahre verschoben werden.
Wohin soll das Geld fließen?
Dort wies man außerdem darauf hin, dass durch die sinkenden CO2-Emissionen im Zuge der wirtschaftlichen Rezession die Klimaziele erreicht werden könnten. Laut Klimaexperten ist das aber nur ein kurzfristiger Effekt. Regierungen auf der ganzen Welt planen, der Wirtschaft mit hohen Summen wieder auf die Beine zu helfen.
Würde dieses Geld in Kohlekraftwerke oder den Verbrennungsmotor gesteckt, wäre für den Klimaschutz nichts gewonnen. Darauf weist auch Umweltministerin Schulze immer wieder hin.
Wohin das Geld stattdessen fließen kann, wird nun beim Petersberger Klimadialog besprochen.