Merkel nach der Europawahl: Es ist Zeit für einen freiwilligen Abgang
Für das schlechte Abschneiden der CDU bei der EU-Wahl ist Kanzlerin Merkel mitverantwortlich. Sie muss ihren Abschied einleiten. Ein Kommentar.
Soll das jetzt noch lange so weitergehen? Es mag ja sein, dass die Bundeskanzlerin bei den Bürgern in hohem Ansehen steht, aber das gilt nur vorerst noch. Denn es ist im Wesentlichen nicht erstaunlich, weil Angela Merkels originären Leistungen verbunden sind mit Politik nach Umfragen, darunter dem Abschied von der Atomkraft wegen Fukushima nach der vorherigen Rückkehr dazu.
Der Abschied entsprach dem Lebensgefühl und der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung, deshalb der Schwenk nach dem Schwenk. Der einen Ministerpräsidenten der CDU das Amt kostete.
Wenn Zustimmung aber auf diese Weise zustande kommt, kann solche Politik auch zur Belastung werden. Wie jetzt zu erleben war. Wer nicht aneckt, stört nicht weiter? Das funktioniert nicht auf Dauer: Das Oberthema des Wahlkampfs, die Klimapolitik, zeigt es.
Es hat der CDU ein desaströses Ergebnis beschert – und es war Merkels Politik in all den Jahren zuvor, die dazu geführt hat. Ihr Kurs der kleinen Schritte, ihr Beruhigen und Taktieren und Kommissionieren, hat das Thema zwar für einige Zeit in den Hintergrund treten lassen. Aber aus dem ist es jetzt mit Macht hervorgetreten: als europäisches, als junges Anliegen. Und die CDU hatte keine Antwort darauf.
Zögern schadet
Das ist nun nicht allein die Schuld der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, sondern ihrer Vorgängerin. Je länger die bleibt, desto schwieriger ist es für die Nachfolgerin, den Kurs zu korrigieren, nicht bloß in diesem einen Fall. Damit lädt Merkel wiederum Schuld auf sich, wenn es mit der Übergabe der Macht im Kanzleramt an AKK nicht klappt. Zumal das Verzögern Merkels inzwischen auch als Zögern von AKK wahrgenommen wird.
Jetzt, nach dieser Wahl und diesem Ergebnis, redet die Vorsitzende von einem eineinhalb Jahre langen Prozess zur Erneuerung der Partei. Was zum Eindruck von Schwäche und Unentschlossenheit beiträgt, der sich allmählich in der CDU breitmacht, weil die Stimmung in Bevölkerung und Partei anders sind. Sollte der Eindruck grassieren, sind AKKs Chancen auf die komplette Merkel-Nachfolge schneller dahin als gedacht; schneller als bis zur nächsten anstehenden Landtagswahl im September.
Merkel muss handeln
Die Lage ist da. Aus der kommt AKK nur heraus, wenn sie der Wirklichkeit Tribut zollen und Kompetenz, Handlungs-, ja Regierungskompetenz, zeigen kann. Dem Versuch würde sich die CDU, die unter Merkel fast noch mehr zur Kanzler(innen)partei geworden ist, nicht versagen. Ihre Kanzlerin, alt wie neu, stürzen? Höchst unwahrscheinlich. Darum muss Merkel handeln – oder AKK. Die eine muss ihren Abschied vorbereiten, freiwillig, sonst muss die andere sie drängen.
Hinzunehmen, dass die CDU in den jungen Altersgruppen einbricht, an Zustimmung verliert, ist keine Option. Reale Fragen, klare Antworten, verständlich formuliert sind ja möglich. Im Kabinett. Durch ein Klimaschutzgesetz, wie Tagesspiegel Background schreibt, durch Zusammenarbeit mit progressiven Unternehmen der Industrie, und durch personelle Umbesetzungen. Aber eben nicht allein in Fraktion und Ministerien, sondern an der Spitze.
Mitte nächsten Jahres hat Deutschland als zusätzliche Herausforderung für die CDU auch noch die EU-Präsidentschaft inne. Ob Angela Merkel im Spätherbst ihrer Kanzlerschaft diesen Kraftakt schaffen kann, wenn es doch endlich Fortschritte geben soll? Sie sollte ihn sich und dem Land nicht zumuten. Der Ausgang ist ungewiss, in jeder Hinsicht.