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Die Grünen-Politikerin Renate Künast.
© picture alliance / Karlheinz Sch

Künast, Grönemeyer und wir: Es ist unsere Pflicht, gegen Grenzüberschreitungen aufzubegehren

Die Pöbeleien gegen Renate Künast und Herbert Grönemeyer zeigen vor allem eines: Man muss bei Grenzüberschreitungen Haltung zeigen. Eine Kolumne.

Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün.
Eine Kolumne von Hatice Akyün

Kennen Sie jemanden, den Sie nicht ausstehen können? Dann beschimpfen Sie die Person doch einfach als „Stück Scheiße“ oder „Drecks Fotze“. Wenn Ihnen das zu hart klingt, weil Sie vielleicht noch ein bisschen Anstand besitzen, dann ginge auch „Schlampe“ oder „du gehörst als Sondermüll entsorgt“. Sie glauben nicht, dass man das alles ohne juristische Konsequenzen sagen darf? Dann fragen Sie mal Renate Künast.

Die Grünen-Politikern wurde genau so in den sozialen Medien beschimpft und ist gerichtlich dagegen vorgegangen. Mit ein wenig Menschenverstand und rudimentärem Gesetzeswissen, könnte man davon ausgehen, dass solche Beleidigungen und Drohungen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Das Berliner Landgericht sieht das anders: Renate Künast muss es per Beschluss hinnehmen.

Das hat mich umgehauen, obwohl ich doch eigentlich noch mit Herbert Grönemeyer beschäftigt war. Der Sänger wurde, man kann es kaum glauben, von AfD-Politikern und AfD-Anhängern mit Nazi-Propagandaleiter Goebbels verglichen. Grönemeyer hat sich bei einem Konzert in Wien ziemlich unmissverständlich gegen Rechts ausgesprochen und dabei den Begriff „diktieren“ benutzt.

Um die Absurdität aufzuzeigen, muss ich das Goebbels-Zitat mal vor das von Grönemeyer stellen: „Wollt ihr den totalen Krieg. Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erste vorstellen können?“ Und: „Dann liegt es an uns, zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat. Und wer versucht, so eine Situation der Unsicherheit zu nutzen, wer rechtes Geschwafel für Ausgrenzung, Rassismus und Hetze, ist fehl am Platze. Diese Gesellschaft ist offen und humanistisch.“

Vergleich mit Goebbels-Zitat ist perfide und dämlich

Der Vergleich ist nicht nur perfide und bösartig, sondern auch so dämlich, dass man sich fragt, wann bei manchen Menschen nicht nur Anstand, sondern auch der Verstand verloren gegangen ist.

Jemand schrieb mir, dass mir als Türkin nachzusehen sei, die Sportpalastrede von Goebbels nicht zu kennen und ich somit nicht einschätzen könne, dass es Übereinstimmungen gebe. Ich hatte zum Glück sehr guten Geschichtsunterricht. Dank meiner Lehrerin, die mit uns die NS-Zeit schonungslos durchgenommen hat, wurde sie auch die Geschichte eines Türkenmädchens. Und als Deutsche werde ich heute alles tun, dass sich diese Geschichte niemals wiederholt.

Grenzen des Gesetzes und des Anstands werden überschritten

Wenn auf der einen Seite Menschen Grenzen des Gesetzes, des Anstands, der Moral und der Menschlichkeit überschreiten, dürfen wir das auf der anderen Seite nicht mit Kopfschütteln abtun. Auch wenn es Überwindung kostet, ist es unsere Pflicht, aufzubegehren, Stellung zu beziehen und rechtsextremistisches Gedankengut klar zu benennen, zu verurteilen und anzuzeigen. Diese verbalen Grenzüberschreitungen passieren – wie oft beschrieben – nicht aus Versehen, sie sind kalkulierte Absicht, um Stück für Stück die rote Linie verschwimmen zu lassen und Rechtsextremismus durch Wiederholen einen Anstrich von Normalität zu geben.

Das ist kein neues Phänomen. Früher war es der Nazi-Onkel, der nach dem fünften Schnaps auf der Familienfeier seine kruden Gedanken offenbarte. Heute versteckt man sich einfach in der Anonymität des Internets.

Umso mehr ist es die Verantwortung des Rechtsstaats, Meinung, Beleidigung und Drohung juristisch voneinander zu trennen und zu ahnden. Und die Pflicht der nächsten juristischen Instanz ist es, den Beschluss des Berliner Landgerichts im Fall Künast einzukassieren und die Beleidiger mit Konsequenzen zu konfrontieren.

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