Dänisches Design: Es ist eingerichtet
Kaum eine Möbelfirma wächst so rasant wie HAY aus Dänemark. Was ist ihr Erfolgsrezept?
Der Salone del Mobile, die wichtigste Designermesse der Welt, braucht natürlich schicke Eventlocations. In diesem Frühjahr lud man auch ins La Pelota, eine ehemalige Sportanlage aus dem Jahre 1947 in Mailands Künstlerviertel Brera. Der perfekte Ort fürs neugierig flanierende Publikum. Die Veranstaltungshalle ist in zahlreiche Räume untergliedert, in einem Café-Restaurant trifft man sich für Gespräche.
Das Etablissement ist eingerichtet mit schlichten Möbeln von HAY, der Firma, die wie keine andere momentan die Möbelszene aufmischt. Ihre Events in Mailand sind Pflichttermine für Designliebhaber. Dabei sind Firmengründer Rolf Hay Messen gar nicht so wichtig. „Inzwischen gibt es andere Möglichkeiten, neue Produkte zu zeigen“, sagt er und spielt auf das Internet an, in dem sich Bilder und Informationen rasend schnell verbreiten. Für ihn ist die Ausstellung in La Pelota eher eine große Party, eine Möglichkeit, Freunde, Geschäftspartner und neue Designer zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Wem der skandinavisch-schlichte Stil gefällt, der darf auch gleich zugreifen. Denn in der Ausstellung gibt es einen HAY Mini Market mit einer Auswahl aus der Produktpalette der Dänen, die von einer schlichten Zahnbürste bis zur Sofaecke reichen. Design to go – so lässt sich das Konzept von Rolf und Mette Hay auf den Punkt bringen. Als sie sich kennenlernten, arbeiteten beide für Gubi. „Wir stellten fest, dass die Leute, die das Design von Cappelini verstanden, sich die Möbel nicht leisten konnten. Die Menschen, die das Geld dafür hatten, verstanden das Design nicht“, bringt Rolf Hay das Dilemma vieler Designfirmen auf den Punkt.
Nachhaltige Ästhetik, die nicht vom Zeitgeist überholt wird
Seine Frau und er wollten zusammen mit ihrem Geschäftspartner Troels Holch Povlsen erschwingliches Design machen mit einer nachhaltigen Ästhetik, Dinge, die auch in Jahren noch gut aussehen und nicht vom Zeitgeist überholt werden. Trotz dieser klaren Vision brauchte die Firma mehrere Jahre, um ihre „Design-DNA“ zu finden, wie es Rolf Hay beschreibt.
Obwohl er darauf Wert legt, mit internationalen Designern wie den französischen Brüdern Ronan und Erwan Bouroullec, dem Designerpaar Doshi Levien aus London oder Stefan Diez aus München zusammenzuarbeiten, und HAY deshalb als eine internationale Marke versteht, schimmert doch das Erbe von Arne Jacobsen und Co. durch. „Wir sind mit diesen Möbeln aufgewachsen und zweifellos prägen sie unsere Auffassung von Ästhetik ebenso wie die Liebe zu hochwertigen und langlebigen Materialien“, sagt Rolf Hay.
Dennoch ist er sich sicher, dass HAY global verstanden wird, und die Verkaufszahlen geben ihm recht. So etwas wie nationale Bestseller gibt es bei HAY nicht. Nicht einmal zwischen dem asiatischen Markt, auf dem die Dänen mit einem eigenen Büro in Schanghai vertreten sind, und Europa zeigen sich signifikante Vorlieben der Käufer. Man merke lediglich, dass die Asiaten oft auf kleinerem Raum leben und sich entsprechend einrichten, sagt Rolf Hay.
Der Vertrieb läuft über eigene Geschäfte von Bangkok bis Oslo sowie über Vertragspartner. Dazu gehören auch ungewöhnliche Kooperationen wie die mit der Modekette Cos. In den Cos-x-HAY-Geschäften in Wien oder London gibt es die Wohnaccessoires der geschäftstüchtigen Dänen neben Kleidung, Schuhen und Schmuck.
Bei vielen Fans seiner schnörkellosen Produkte gibt es automatisch Nachahmer. Das Spektrum reicht von dreisten Kopien bis hin zu Designs, die sich von HAY – nun ja – „inspirieren“ lassen, sagt Rolf Hay. Für ihn sind Kopien nichts anderes als Diebstahl und widersprechen jeglicher Ethik. „Mette und ich haben zwei Kinder. Björn ist sechs und Margarete elf Jahre alt. Neben vielen anderen Dingen versuchen wir ihnen beizubringen, wie man ein guter Kumpel ist und ein integrer Mensch. Sie sollen morgens guten Gewissens in den Spiegel schauen können“, sagt Rolf Hay. „Dazu gehört auch, anderen Erfolg zu gönnen und ihnen nichts wegnehmen zu wollen.“
Natürlich könne es mal vorkommen, dass zwei Designer die gleiche Idee haben. Schließlich leben wir nicht in einem luftleeren Raum, räumt Rolf Hay ein. Wenn die Kopierer aber zu dreist vorgehen, dann bekommen sie Post aus seiner Rechtsabteilung.
Vorgaben für die Designer beschränken sich aufs Notwendigste
Seine Designer wählt er sehr genau aus. Neben fachlichen Kompetenzen spielt für Rolf und Mette Hay die persönliche Ebene eine wichtige Rolle. „Wenn man drei Jahre lang zusammen an einem Stuhl arbeitet, dann muss man sich gut verstehen“, sagt Rolf Hay. Für ihn ist es wichtig, dass der Gestalter seine Materie beherrscht, aber auch etwas von der Produktion versteht. Vorgaben beschränkt er aufs Notwendigste, seitenlange Briefings gibt es nicht. Lieber lässt er seinen Gestaltern viel Freiräume und arbeitet dann mit ihnen auf ein für alle befriedigendes Ergebnis hin.
Was auffällt: Unter seinen Designern sind sowohl international renommierte Büros als auch Newcomer wie der 1988 geborene Dimitri Bähler oder der drei Jahre ältere Lex Pott. Eine Beziehung besonderer Art verbindet HAY mit dem Briten Sebastian Wrong. Er entwirft unter dem Label wrong.london Leuchten für HAY, die verspielter wirken als das restliche Sortiment.
Für Rolf Hay bedeuten Kollaborationen wie diese die Zukunft. Ohne Austausch droht Stillstand, ist seine Devise. Gerade wurde bekannt, dass Ikea im Oktober 2017 eine Kollektion mit HAY herausbringt, ganz ähnlich, wie H&M bereits mit anerkannten Modemarken zusammengearbeitet hat. Sogar der blauen Plastiktasche des schwedischen Möbelriesen verpassten die Dänen ein neues Design. Auch wenn HAY wohl nie so groß werden wird wie H&M oder Ikea, ist ihre rund 400 Menschen beschäftigende Firma bereits ein stetig wachsendes Imperium.
Rolf Hay findet das nicht verkehrt. Ob nun 100 oder 400 Mitarbeiter – sie alle an einen Tisch zu bringen, sei so oder so unmöglich. Als Chef muss er Verantwortung abgeben. Jeder Angestellte muss wissen, was sein Job ist, dann läuft's. Im Wachstum sieht er viele Chancen: Er kann bessere Bedingungen von Lieferanten aushandeln, wird für die guten Designbüros und Mitarbeiter interessant.
Gerade hat HAY einen Anteil an der schwächelnden Firma & tradition gekauft und möchte den Dänen vor allem durch Unterstützung bei der Produktion auf die Beine helfen. Seine Möbel lässt HAY so weit es geht in Dänemark herstellen, aber auch in anderen europäischen Ländern. So kommen die Polstermöbel aus Polen oder die Tischplatten aus Dänemark. Produkte für den asiatischen Markt werden auch dort gefertigt. So vermeidet HAY weite Transportwege.
Für Mette und Rolf Hay läuft alles darauf hinaus, ihrer Idee treu zu bleiben, für die sie einmal angetreten sind, nämlich erschwingliche Möbel und Wohnaccessoires für Designliebhaber herzustellen. Doch nichts ist in Stein gemeißelt. „Im Moment ist klar, wofür wir stehen und welche Linie wir verfolgen, es können aber auch wieder andere Zeiten kommen“, sagt Rolf Hay. Der Wandel hält ihn und seine Idee lebendig.