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Am Tatort: In der Dresdner Schlossstraße geschah das Verbrechen.
© Sebastian Kahnert/dpa

Mutmaßlicher Mörder von Dresden war als Gefährder bekannt: „Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit“

Sachsens Behörden verteidigen ihr Vorgehen im Fall des mutmaßlichen Mörders von Dresden. Der Syrer war ihnen als Gefährder bekannt.

Mehrmals hat sich Sachsens Ressortchef Roland Wöller (CDU) auf Innenministerkonferenzen vergeblich dafür eingesetzt, Gefährder und Straftäter von dem geltenden Auslieferungsstopp auszunehmen. „Der Umgang mit Gefährdern, die nicht abgeschoben werden können, ist ein deutschlandweites Problem. Im Fall von Syrien gilt wegen des Bürgerkrieges ein genereller Abschiebestopp,“ sagte er am Donnerstag. Anfang Oktober waren in Dresden zwei Touristen Opfer einer Messerattacke geworden. Ein 55-Jähriger aus Krefeld starb, ein weiterer Mann (53) aus Köln überlebte schwer verletzt. Mutmaßlicher Täter ist ein Syrer, Abdullah A. H. H., den die Behörden als Gefährder einstufen.

„Diese grausame Tat zeigt, dass der islamistische Extremismus nach wie vor eine tödliche Gefahr ist. In diesem Fall handelt es sich um einen syrischen Tatverdächtigen, der in einem bundeseinheitlichen Schema als Gefährder eingestuft wurde“, sagte Wöller. Nach Verbüßen der Haftstrafe und seiner Freilassung sei ein Maßnahmenplan mit Meldeauflagen verfügt worden, an den sich der Tatverdächtige gehalten habe: „Es ist besonders bitter, dass es trotz dieser Maßnahmen nicht möglich war, diese Tat zu verhindern.“

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Der Mord geschah Anfang Oktober in der Innenstadt von Dresden, dort, wo die meisten Touristen unterwegs sind. Nahe Schloss und Frauenkirche. Warum es die beiden Männer traf, haben Polizei und Staatsanwaltschaft noch nicht aufklären können. Etwa drei Stunden später, die Tat war gerade öffentlich bekannt geworden, musste sich Abdullah A. H. H. wieder auf den Weg in die Innenstadt machen.

Sein Weg führte zur Polizeidirektion an der Schießgasse, nur wenig entfernt von dem Ort, an dem er am Abend zuvor die zwei Touristen schwer verletzt hatte. Der 20-Jährige hatte die Auflage, sich regelmäßig bei den Beamten zu melden, unter anderem montags um 10 Uhr. Auch vor der Tat am Sonntag war er dort, ebenfalls um 10 Uhr. So steht es in den Auflagen, die der Syrer mit auf den Weg bekommen hatte, als er am 29. September die Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen verlassen durfte.

Nur fünf Tage danach soll er hinter dem Kulturpalast die zwei Touristen angegriffen haben. Die Polizei fand später ein Messer, mit dem er auf die Männer eingestochen haben könnte, ein Küchenmesser. Andere Messer oder gar Waffen durfte Abdullah A. H. H. laut den Auflagen nicht besitzen. Ausgenommen waren nur „solche Gegenstände, die in einem durchschnittlichen Haushalt erforderlich sind“, hatte das Amtsgericht Borna festgelegt. Daran hatte er sich offenbar gehalten.

Auf einem blutbeschmierten Messer wurde DNA gefunden

Dieses blutbeschmierte Messer hat die Polizei auf die Spur des Mörders gebracht. Denn daran wurde DNA gefunden, die nach der Laborauswertung des Landeskriminalamts mit der Datenbank abgeglichen wurde. Dabei gab es einen Treffer: Die DNA stimmte mit Proben des 20-jährigen Syrers überein.

Abdullah A. H. H. kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Aufenthaltsstatus: geduldet. Seit dem Frühjahr 2016 habe sich der Syrer aus Aleppo immer mehr radikalisiert, warf ihm die Staatsanwaltschaft bereits bei einem Prozess im September 2018 vor. H. hatte sich damit beschäftigt, wie man einen Sprengstoffgürtel baut. Bei Facebook verwendete er Symbole der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Er nannte sich eine „schlafende Zelle“ und interessierte sich für Schriften wie die „Rechtsleitende Kunde für Selbstmordattentäter“. Im November 2018 wurde er vom 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden zu zwei Jahren und neun Monaten Jugendstrafe verurteilt.

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Ende September wurde Abdullah A. H. H. aus dem Gefängnis entlassen und konnte sich wieder frei bewegen. Auch in Dresden, wo er schon zuvor gelebt hatte. Dabei war der Tatverdächtige offiziellen Angaben zufolge bereits während der Haft mehrmals aufgefallen. Er sei mehrmals Thema in Fallkonferenzen gewesen, sagte der Chef des Landeskriminalamtes (LKA), Petric Kleine, am Donnerstag. Der Verdächtige hatte Mitarbeiter der JVA angegriffen. So sei im Juli die Gefahr, dass der Mann erneut Straftaten begehen könnte, von Experten als hoch eingeschätzt worden. Dementsprechend wurde ein Maßnahmeplan für die Zeit nach der Entlassung entwickelt. Man habe sich gefragt, ob der Mord hätte verhindert werden können, sagte Kleine. Aber aus Sicht des LKA seien alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden.

Eine Rund-um-die-Uhr Bewachung sei rechtlich möglich, aber nicht vorgesehen gewesen, erklärte Dirk-Martin Christian, Chef des Landesverfassungsschutzes, am Donnerstag. Observiert worden sei der Verdächtige jedoch auch am Tag der Tat. „Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit“, sagte Christian. (mit dpa)

- Teile dieses Berichts sind auch in der Sächsischen Zeitung erschienen.

Karin Schlottmann, Alexander Schneider, Christoph Springer, Dominique Bielmaier, Daniel Krüger

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