Skandal um sexuellen Missbrauch: Es geht um das Selbstverständnis der katholischen Kirche
Im Skandal um sexuellen Missbrauch findet Papst Franziskus die richtigen Worte. Doch er muss nun auch angemessen handeln. Ein Kommentar.
Wenn Papst Franziskus glaubhaft bleiben will, muss er seine Worte lebendig werden lassen. Was er jetzt zum unzähligen sexuellen Missbrauch durch Verantwortungsträger der katholischen Kirche unter anderem in den USA geschrieben hat, ist jedenfalls das Stärkste, was dazu bisher von einem Papst zu lesen war.
Von Wunden, die nie verschwinden, hat er geschrieben, von Scham und Reue, und dass die Kirche nicht da stand, wo sie hätte stehen sollen, Menschen vernachlässigt und alleingelassen habe. Im Grunde enthält Franziskus’ Schreiben fast alles, was es dazu zu sagen gibt, einschließlich der Bitte um Vergebung und des Aufrufs zur Erneuerung. Es kommt auch ohne das beschwichtigende Gefasel von „Einzelfällen“ und „Irregeleiteten“ aus und wird sicher das Weltfamilientreffen der katholischen Kirche in dieser Woche beeinflussen, es findet in Irland statt, wo schon so viele Missbrauchsfälle ans Licht gekommen waren.
Den Missbrauch samt seiner Leugnung erklärt Franziskus zu einer „Kultur des Todes“. Genau der muss er jetzt das Lebendige, also das Aktive entgegensetzen. Indem er Akten zugänglich macht, die zur Aufklärung beitragen, die eigenen Untersuchungskommissionen personell aufrüstet und all jene suspendiert, die sich schuldig gemacht haben. Gerade weil es, wie er selbst geschrieben hat, nicht nur um die Täter geht, sondern auch um die Vertuscher. Er muss selbst mit dem Nachdruck handeln, den er von seiner ganzen Kirche einfordert.
Franziskus hat sich an das „Volk Gottes“ gewandt, das zeigt die Bedeutung, die er dem Thema beimisst. Umso merkwürdiger, dass der Trierer Bischof Ackermann fragt, ob der Papst „nicht allzu leicht in der Wir-Form“ geschrieben habe und damit auch die in der Kirche in Haftung nehme, die selbst zu den Leidtragenden gehörten. Diese Frage unterspielt die Dimension des Geschehens. Die Täter fügen ihren Opfern oft lebenslange Schäden zu. Das ist das Innerste ihres Verbrechens. Dann zieht es aber weitere Kreise. Der Missbrauch beschädigt die Integrität der Kirche insgesamt. Er bedroht ihre sozialen Leistungen, die in Hilfswerken wie Caritas und Misereor täglich von Menschen erbracht werden.
Machtmissbrauch des kirchlichen Amts
Dass es um alle geht, lässt sich am Kern des Problems zeigen. Es ist der Klerikalismus, der Machtmissbrauch des kirchlichen Amts. Franziskus zieht dabei eine direkte Linie: Nein zum sexuellen Missbrauch bedeute Nein zum Klerikalismus. Die Verantwortung dafür liegt bei Priestern, Bischöfen, Kardinälen und dem Papst. Begünstigt werden kann dieser Klerikalismus jedoch durch alle Gläubigen. Als „Priester-Anbetungsverein“ ist die katholische Kirche oft verspottet worden. Und ein Missbrauchsopfer aus den USA berichtete nun, ihnen sei beigebracht worden, dass die Priester und Nonnen Gott seien. Dabei hat die Weihe aus ihnen noch keine besseren Menschen gemacht. Das Zölibat lädt sie jedoch mit einem Reinheitsgedanken auf. Wer ist dieser Überhöhung ein Leben lang gewachsen?
Die katholische Kirche wird sich sogar noch intensiver damit beschäftigen müssen, welche Rolle das Zölibat beim Missbrauch spielt. Der Beruf des Priesters zieht auch viele junge Männer an, die noch nicht erwachsen geworden sind, heißt es in kritischen Stellungnahmen aus der Kirche selbst. Sollen sie da wirklich weiter mit Hochwürden angeredet werden?
Das Zölibat steht unter Rechtfertigungsdruck. Es kann sich noch damit verteidigen, die Freiheit für etwas auszudrücken, die Freiheit etwa, sich ganz auf das Leben mit Gott zu konzentrieren. Aber sobald die Freiheit von etwas gemeint ist, von Verantwortung und Kontrolle, verliert es jegliche Legitimität. Die Bekämpfung des Missbrauchs zielt daher auf nicht weniger als auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche insgesamt.
Man könnte Franziskus beim Wort nehmen: Der Kirche muss die Menschenwürde heilig werden.