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Eine junge Frau, die sich der Migrantenkarawane in Richtung USA angeschlossen hat, Anfang November bei einem Stopp in Mexiko-Stadt.
© ALFREDO ESTRELLA/AFP

UN-Migrationspakt: "Erstmals eine gemeinsame Haltung der Welt zu Migration"

Die Hamburger Völkerrechtlerin Nora Markard über die Bedeutung internationaler Abkommen und die Angst vor dem UN-Migrationspakt. Ein Interview.

In der seit Wochen heißlaufenden Debatte um den UN-Migrationspakt fragen viele, was der denn überhaupt soll, wenn er, wie im Text mehrfach behauptet, gar nicht verbindlich ist. 

Wir sprechen da von sogenanntem „Soft law“, „weichem“ Recht. Das ist nicht verbindlich, deswegen kann man sich schon fragen warum es überhaupt als ‘law’, also als Recht bezeichnet wird. In einer politischen Erklärung solche unverbindliche Prinzipien niederzulegen, hat vor allem den Zweck, eine Gesprächsgrundlage zu vereinbaren.

Wozu? Und haben Sie Beispiele?

Die allererste Menschenrechtscharta, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, war eine unverbindliche Erklärung der UN-Generalversammlung. Sie zeigt, welche Rolle soft law spielen kann: Es kann eine Grundlage sein, auf der später über verbindliche Regelungen verhandelt werden kann. Auf der Grundlage der AEMR wurden zum Beispiel 1966 die beiden verbindlichen UN-Menschenrechtspakte verabschiedet, einer für bürgerliche und politische Rechte und einer für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Über die Jahre sind viele Rechte in der AEMR zwar außerdem zu Völkergewohnheitsrecht geworden. Auch das passiert aber nicht von jetzt auf gleich; Gewohnheitsrecht entsteht grundsätzlich erst durch eine Staatenpraxis, die von der Überzeugung getragen ist, dass diese Praxis nicht freiwillig ist, sondern einer Rechtspflicht entspricht. Erst wenn eine Erklärung also auch zur Praxis wird, kann sie zu Gewohnheitsrecht erstarken.

Einerseits unverbindlich, andererseits womöglich Grundlage für Verbindlicheres – ist die ganze Aufregung um den Pakt also berechtigt oder nicht?

Sie ist unberechtigt. Der Pakt bestätigt sehr viel, das bereits menschenrechtlich weltweit verpflichtend ist. In Zeiten, da diese Menschenrechte und Staatenpflichten in Zweifel gezogen werden – denken Sie an die Debatte darüber, ob Seenotrettung in Ordnung ist -, stellt er noch einmal klar, dass sie auch für Migranten gelten, nicht nur für die eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Wer damit nicht einverstanden ist, müsste aus einer ganzen Reihe UN-Verträge aussteigen, nicht nur aus dem Global Compact.

Sie sagen aber andererseits selbst, aus Nichtverpflichtendem kann Verpflichtendes werden?

Aber nicht einfach so. Verbindlichkeit entsteht erst, wenn ein neuer Vertrag auf der Grundlage des UN-Migrationspakts ausgehandelt und der auch wieder ratifiziert wird. Zwar kann, wie gesagt, auch soft law verbindlich werden. Dazu muss es aber eine Praxis geben, die als verpflichtend anerkannt ist, oder eben einen Vertrag.

Das Auswärtige Amt weigert sich, Details der Verhandlungen offen zu legen. Das schürt ebenfalls den Verdacht gegen den Pakt.

Ich weiß nicht, welche Vereinbarungen zur Öffentlichkeitsarbeit es über die Verhandlungen gab. Man hätte aber medial sicher mehr darüber berichten können. Anscheinend gab es da wenig Interesse. Was auch verständlich ist, zu solchen Verhandlungen geht Fachpersonal, da geht es um Details und nicht um große Verkündigungen, das ist selten spannend für die Öffentlichkeit. Klar ist, dass kein Staat sich vollständig durchsetzen kann in solchen Verhandlungen. Kompromisse sind business as usual der Diplomatie, sonst gäbe es keine internationalen Verträge. Entscheidend ist aber am Ende das Gesamtprodukt. Wenn das Auswärtige Amt zugestimmt hat, dann sicher nicht einem Text, hinter dem es nicht insgesamt stehen kann.  

Wie funktionieren solche Verhandlungen überhaupt? 

Im Fall des Migrationspakts und des parallel verhandelten Flüchtlingspakts stand am Anfang eine große Grundsatzerklärung in New York. Dann muss die Arbeitsebene ran, Fachpersonal, das Texte entwirft, sie mit andern Fachleuten abstimmt, einen Konsens herzustellen versucht. Die Verabschiedung ist am Ende wieder Sache der Regierungsspitzen. 

Wenn der UN-Migrationspakt schon nicht verbindlich ist: Hat er eine Bedeutung über die Möglichkeit hinaus, dass er womöglich einmal, wie Sie sagen, Grundlage für verbindliche Verträge wird? 

Seine große Bedeutung liegt darin, dass so viele Staaten erstmals eine gemeinsame Haltung zu Migration einnehmen. Dass alle sich dazu bekennen, dass es um ein globales Problem geht, das globaler Lösungen bedarf; den einen Staat betrifft es, weil seine Leute wegziehen, den andern, weil sie dort ankommen oder sich auf ihrem Weg auf seinem Gebiet aufhalten. Und dass es deswegen ein System geteilter Verantwortung braucht, in dem nicht einfach die die meisten Lasten schultern, die zufällig in der Nähe von Kriegs- und Katastrophengebieten liegen oder auch der attraktivste Staat einer Region sind. Das St.-Floriansprinzip – Hauptsache, in meinem Haus brennt es nicht - erhält mit einem solchen Bekenntnis eine Absage. Wir haben ja in der Europäischen Union gesehen, wie schwer es ist, eine Lösung zu finden, die fair und außerdem eine gemeinsame ist. Dass die Staaten also überhaupt an einem Tisch saßen und sich über gemeinsame Prinzipien verständigt haben, ist ein großer Gewinn. Damit kann ein Prozess beginnen.

Nora Markard ist Juniorprofessorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht und internationales Verfassungsrecht an der Universität Hamburg. Migration ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit.

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