Andrea Nahles und die SPD: Erste Bewährungsprobe für die neue Chefin
Andrea Nahles soll so schnell wie möglich den Vorsitz der SPD übernehmen. Der Umgang mit den Vorgängern Schulz und Gabriel macht ihr zu schaffen.
Am Dienstag kehrt er für ein paar Stunden ins Willy-Brandt-Haus zurück. Zum letzten Mal wird der SPD-Vorsitzende Martin Schulz dann die Sitzung des Parteipräsidiums leiten, bevor er seine Amtsgeschäfte an Andrea Nahles übergibt. Die Fraktionschefin, so hat es die engere Parteiführung geplant, soll mit sofortiger Wirkung zur kommissarischen Parteivorsitzenden bestimmt werden. Sie trägt von diesem Moment an auch offiziell die Verantwortung für eine Partei, deren Zukunft auf dem Spiel steht.
Wohin steuert die SPD-Führung? Außerhalb des hauptstädtischen Machtapparates, der SPD-Zentrale und der Bundestagsfraktion können viele Sozialdemokraten den Zickzackkurs ihrer Oberen nicht mehr verstehen. Von zunehmender Entfremdung zwischen Basis und der Spitze der Bundespartei spricht Berlins Fraktionschef Raed Saleh. „Über das Vorgehen der letzten Wochen schütteln viele Genossen nur noch ratlos den Kopf.“
Der Sturz von Parteichef Schulz am Freitag hat die Lage für Nahles und die SPD-Führungsriege nicht leichter gemacht. Die gesamte Spitze der SPD muss sich fragen lassen, warum sie den von Schulz geplanten und nach massiven Protesten der Basis dann aufgegebenen Wechsel vom Parteivorsitz in den Chefsessel des Auswärtigen Amtes überhaupt unterstützt hat. War ihr nicht klar, dass dieser Wortbruch in den eigenen Reihen zu schweren Verwerfungen führen würde? Oder hat sie die Proteste vorausgesehen und Schulz ins offene Messer laufen lassen? Wollte sie sich auf diese Weise auch gleich Sigmar Gabriels entledigen, dem in der Führungsriege verhassten, aber in der Bevölkerung populären Außenminister?
Schulz selbst sieht sich als Opfer. Seine Schwester, die SPD-Kommunalpolitikerin Doris Harst, rechnete am Wochenende mit der Parteispitze ab. Ihr Bruder sei in der Berliner „Schlangengrube“ nur „belogen und betrogen worden“, klagte sie in der „Welt am Sonntag“. Nahles, SPD-Vize Olaf Scholz und andere hätten ihren Bruder zum „Sündenbock für alles“ gemacht. „Dabei könnten sie Martin dankbar sein, nicht nur, weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert hat.“
SPD-Vize Scholz soll internen Absprachen zufolge Vizekanzler und Finanzminister werden
Nun aber wird für Andrea Nahles die Frage, ob der Außenminister nach Schulz’ Verzicht nicht doch im Amt bleiben kann, zur ersten großen Bewährungsprobe. Eine Antwort will sie nach Tagesspiegel-Informationen erst geben, wenn die SPD-Mitglieder über die große Koalition abgestimmt haben. Bis dahin soll die Besetzung der Ministerien als nicht abschließend entschieden dargestellt werden. So will die SPD-Spitze verhindern, dass das Mitgliedervotum von Personaldebatten überlagert wird. Das Prozedere hat für Nahles auch den Vorteil, dass sie zunächst keine Alternative zu Gabriel benennen muss. Außenpolitiker von Gewicht gibt es nicht viele in der SPD. Als Kandidaten sind deshalb Bundestagsvize Thomas Oppermann, Familienministerin Katarina Barley und Justizminister Heiko Maas im Gespräch.
Nach außen alles offen halten – ob dieses Vorgehen von der ohnehin genervten Basis akzeptiert wird, ist unklar, zumal manche Entscheidung längst gefallen ist. SPD-Vize Scholz soll den internen Absprachen zufolge Vizekanzler und Finanzminister werden – und gibt schon erste Interviews zu seinem neuen Themengebiet. Nur bestätigen will er den Wechsel nach Berlin noch nicht. So kann er wenigstens Bürgermeister in Hamburg bleiben, sollte das Mitgliedervotum über die Groko schiefgehen.
Und Gabriel? Seine Gegner verweisen darauf, dass er bei seiner Kritik an Martin Schulz in geschmackloser Weise die eigene Tochter vorgeschoben habe. Tatsächlich sagte Gabriel der „Funke-Mediengruppe“, Tochter Marie habe ihn mit den Worten getröstet: „Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ Vertraute Gabriels versichern, er bedauere es, seine Tochter überhaupt erwähnt zu haben. Er habe versucht, gegenüber seiner Heimatzeitung eine eher humorvolle Bemerkung zu machen. Es sei in seiner Umgebung kein Geheimnis, dass ihm dies leid tue. Man müsse aber auch seinen Ärger über die SPD-Führung verstehen: Wer der Partei so lange gedient habe, den könne es nicht kalt lassen, wenn er seinen Rausschmiss über die Medien erfahre und kein Wort des Dankes zu hören bekomme.