Referendum in Schottland: Erst die EU macht den Separatismus möglich
Eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich scheint nicht mehr ausgeschlossen. Dass in Europa der Separatismus einen Aufschwung erlebt, hat auch mit der EU und den Folgen des Binnenmarkts zu tun. Ein Kommentar.
Es muss wirklich schlecht stehen um das Vereinigte Königreich. „Wird ein neues Royal Baby zur Rettung für die Union?“, fragte der „Guardian“ am Montag die Leser auf seiner Homepage. Die Nachricht, dass William und Kate Nachwuchs erwarten, war da gerade ein paar Stunden alt. Einen Tag zuvor hatte eine andere Meldung London erschüttert: Die von der „Times“ veröffentlichte Umfrage zur schottischen Unabhängigkeit. Zwei Wochen vor dem Referendum liegen die Separatisten demnach mit 51 Prozent vorne.
Schottland, raues Land, Land von Whiskey und Harris Tweed, Dudelsack und Baumstammweitwurf – ein bisschen Eigenbrötlertum darf da schon sein. Nun soll aber auch die Queen unruhig sein, heißt es aus Palastkreisen. Die Königin, die gerade in ihrem geliebten Sommerschloss in Balmoral, Schottland, Urlaub macht. Sah sie an diesem Wochenende zum letzten Mal als Staatsoberhaupt, eingehüllt in eine Karodecke, bei den Highland Games zu?
Was wird aus der Queen?
Zumindest diese Frage scheint geklärt: Schottland werde sich als souveräner Staat die Queen mit 15 anderen Ländern teilen, versichert die Regionalregierung in ihrem Scheidungshandbuch. Andere Fragen sind offener. Sie betreffen nicht nur London und Edinburgh, sondern hätten Folgen für die gesamte Europäische Union. So sehr sich überzeugte Schotten von Westminster lossagen wollen, so sehr werfen sie sich Brüssel an die Brust. Ein Ja für die Unabhängigkeit würde viele schottisch-englische Probleme europäisieren.
Tatsächlich entbehrt es nicht einer gewissen Logik, dass der innerstaatliche Separatismus in Europa gerade jetzt einen Höhepunkt erlebt – wo die Machtkonzentration auf der supranationalen Ebene stetig größer wird. Starke Unabhängigkeitsbewegungen wie auf der Insel wären ohne Europas Zentralisierung kaum möglich. Bietet die EU womöglich erst das sichere Gerüst, auf dem Separatisten in Schottland und anderswo gefahrlos herumturnen können? Und das sie im Zweifelsfall vor dem totalen Absturz bewahrt?
Ganz allein nämlich wollen auch sie nicht dastehen. Sie argumentieren, dass ein souveränes Schottland quasi automatisch Teil der EU bliebe. In London – und offiziell auch in Brüssel – wird dies anders gesehen. Das Land werde sich wie die Türkei neu bewerben müssen, hatte Ex-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Frühjahr gesagt. Es war eine von vielen Drohungen, die bei den Schotten nicht so recht zu verfangen scheinen.
Ausgerechnet der eigentlich eher harmlose Sezessionsfall Schottland könnte die EU so zu einer Begründung zwingen, warum der Nationalstaat aus ihrer Sicht noch gebraucht wird. Dabei gibt es noch viel heiklere Fälle. Das notorisch zerklüftete Belgien zum Beispiel oder den Separatismus in Spanien, vom Baskenland bis Katalonien. Die Regionalregierung in Barcelona will am 9. November ebenfalls ein Referendum abhalten. Die Zentrale in Madrid hat dies schon mal für illegal erklärt – unwahrscheinlich deshalb, dass sie einem schottischen Wiedereintritt in die EU sang- und klanglos ihre Zustimmung erteilen würde. Warum sollte man den Schotten auch ermöglichen, was man den eigenen Leuten vorenthält?
Es geht auch gegen Thatcher, Blair und Cameron
Dass Regionen in Europa eigenständiger werden möchten, hat aber nicht nur mit politischer Einebnung zu tun. Der Abspaltungstrend ist indirekt auch eine Folge des Binnenmarkts. In ihm gelten keine Zoll- und Handelsschranken mehr. Theoretisch können sich Unternehmen überall ansiedeln und von dort aus europaweit Waren anbieten. Kleinere EU-Staaten haben diesen Vorteil meist besser zu nutzen gewusst als große Tanker wie Frankreich oder Italien. Sie spezialisierten sich – Finnland zum Beispiel auf Telekommunikation oder die Niederlande auf die Logistikbranche. Größere Staaten hingegen taten sich mit einer solchen Konzentration oft schwer.
Großbritannien bezahlte den Aufstieg seiner Finanzbranche mit dem Tod vieler Industrieregionen. Wer heute nach Glasgow reist und die Stadt mit London vergleicht, sieht dies sofort: Die gleichen, prächtigen viktorianischen Gebäude, doch während in der Hauptstadt Höchstpreise bezahlt werden, stehen in der schottischen Großstadt viele Häuser leer.
Kenyon Wright, ein prominenter Vertreter der „Yes“-Kampagne, sagte kürzlich: „Ein Nein ist ein Ja zu Margaret Thatcher und dem Schaden, den sie über uns gebracht hat, ein Ja zu Tony Blair, der uns in den Krieg gelogen hat und ein Ja zu David Cameron, der uns aus der EU bringen will.“ Vielleicht geht es tatsächlich nicht so sehr um Schottland, sondern um etwas ganz anderes.