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Flüchtlinge leben im Libanon unter schweren Bedingungen.
© DPA

Flüchtlinge im Libanon: Ersatzstaat für Palästinenser

Vor zehn Jahren wurde ein Flüchtlingslager im libanesischen Norden zerstört, jetzt wird es wieder aufgebaut. Vor allem Palästinenser finden dort Zuflucht.

Nur wenige Menschen auf der Welt können den Ort wieder aufbauen, in dem sie selbst aufgewachsen sind. Laila Omari gehört dazu. Omari kommt aus dem Flüchtlingslager Nahr el Bared im libanesischen Norden, einst Heimat von mehr als 25.000 Menschen. Vor zehn Jahren machte die libanesische Armee im monatelangen Kampf gegen eine Islamistengruppe den Ort dem Erdboden gleich. „Überall war Krieg“, erzählt Omari.

Heute arbeitet die 25-Jährige für eine Firma, die Nahr el Bared gewissermaßen neu erschafft. „Die Leute sind aufgeregt“, sagt sie. „Sie kommen fast jede Woche ins Büro und fragen, ob es was Neues von ihren Wohnungen gibt.“ Denn tausende Menschen leben noch in Containern und warten darauf, dass ihre Wohnung fertig wird. Auch Omari selbst.

300 Millionen Euro für ein neues Flüchtlingslager

Nahr el Bared ist Sinnbild der grotesken Situation, in der Palästina-Flüchtlinge im Libanon leben. Das Lager, eigentlich eine Übergangslösung, wird 66 Jahre nach seiner Gründung neu aufgebaut. Die Kosten in Höhe von knapp 300 Millionen Euro trägt die internationale Gemeinschaft. Bauherr ist das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge UNRWA.

Die Organisation ist ebenfalls eine dauerhafte Übergangslösung. Das Hilfswerk wurde 1949 gegründet, nach dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg, der rund 700.000 Palästinenser zu Flüchtlingen machte. Von Anfang an war die Organisation mit einem dreijährigen Mandat ausgestattet, das seither alle drei Jahre verlängert wird. Finanziert wird UNRWA fast nur mit freiwilligen Spenden von Staaten. Das meist Geld gaben bislang die USA, an zweiter Stelle kam die Europäische Union. Deutschland stand auf Platz fünf.

Hilfswerk kämpft mit Finanzierungslücken

Doch nachdem US-Präsident Donald Trump nun angekündigt hat, vorerst nur 60 Millionen US-Dollar zur Verfügung zu stellen, steht die Agentur vor der „gewaltigen Herausforderung“, ihr Mandat aufrecht zu erhalten, sagt Generalkommissar Pierre Krähenbühl. Das Gesamtbudget von UNRWA betrug 2016 etwas mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar.

Schon bisher kämpfte das Hilfswerk Jahr für Jahr mit Finanzierungslücken, um den Betrieb in den Schulen, Krankenhäusern und vielen weiteren Einrichtungen aufrecht zu erhalten. Für die Palästinenser im Libanon ist UNRWA eine Art Ersatzstaat, das Land selbst unternimmt so gut wie nichts zur Versorgung der Flüchtlinge. „So lange sich an der politischen Lage im Libanon nichts ändert, so lange bleibt UNRWA hier“, stellt Claudio Cordone klar, Direktor des Hilfswerks im Libanon. Und es sieht nicht so aus, als würde sich bald etwas ändern, im Gegenteil. Das Thema steht weit unten auf der libanesischen Tagesordnung.

Immer mehr Menschen drängen in die Lager

Weiter oben stehen: ein Anfang November wohl unter saudi-arabischem Druck zurückgetretener Premierminister, der einen Monat später vom Rücktritt zurücktrat und nun vorerst im Amt bleibt – zum Ärger Saudi-Arabiens; ein verrutschtes Machtgleichgewicht, in dem die mit iranischem Geld finanzierte Hisbollah-Miliz den Ton angibt; die ständige Gefahr eines weiteren Kriegs zwischen ebenjener Hisbollah und dem südlichen Nachbarland Israel; ein inzwischen bald sieben Jahre langer Bürgerkrieg im anderen Nachbarland Syrien; dadurch auch weit mehr als eine Million Flüchtlinge aus Syrien, die unter teils katastrophalen Bedingungen im Libanon leben. Der Zedernstaat selbst nur etwas mehr als vier Millionen Einwohner. Das alles sind Themen, auf die Palästinenser im Libanon kaum Einfluss haben, die sie aber auf die eine oder andere Weise betreffen.

Auch der Krieg in Syrien betrifft die Palästinenser direkter als viele Libanesen. Durch die zusätzlichen Flüchtlinge ist zum einen der Druck auf dem informellen Arbeitsmarkt gestiegen, zum anderen wird auch der Wohnraum im unteren Segment knapp. Immer mehr Menschen drängen in die Lager, wo die Mieten günstig sind. Allein im größten Camp Ain el Hilweh bei der Stadt Saida leben schätzungsweise 80000 Menschen auf nicht einmal einem Quadratkilometer.

Viele wollen schnell weiter

Besonders problematisch ist die Situation für palästinensische Flüchtlinge aus Syrien, die im Libanon Zuflucht gefunden haben. Während 65 Prozent der Palästinenser im Libanon unter der Armutsgrenze leben, so trifft das auf 89 Prozent der Menschen aus Syrien zu, neun Prozent davon sogar in „extremer Armut“.

In den UNRWA-Schulen schieben die Lehrer seit Jahren Doppelschichten, um die Neuankömmlinge zu betreuen und ins libanesische Schulsystem zu integrieren. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Geflüchteten Englisch und Französisch lernen, sondern die Kinder überhaupt in der Schule zu halten, weil die Eltern sie in ihrer Hoffnungslosigkeit lieber arbeiten schicken würden. Die Achtklässlerin Yousra Saleh aus Yarmouk bei Damaskus etwa erzählt: Ihre vierköpfige Familie lebe nun in einem kleinen Zimmer im Flüchtlingslager Schatila in Beirut. Ihr und ihrer kleinen Schwester falle buchstäblich die Decke auf den Kopf, so baufällig sei das Haus. Durch den Schulbesuch habe sie nun zumindest Englisch gelernt, sagt die 16-Jährige. „Ein Glück.“ Denn sie will so schnell wie möglich den Libanon verlassen.

Die Recherche wurde ermöglicht durch eine von EU und UNRWA finanzierte und organisierte Pressereise.

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