Hagia Sophia als Moschee wiedereröffnet: Erdogans Entscheidung ist eine Abrechnung mit Staatsgründer Atatürk
Am Freitag wurde die Hagia Sophia als Moschee wiedereröffnet. Präsident Erdogan wendet die Türkei damit weiter von der europäischen Kultur ab. Ein Kommentar.
Die Wiedereröffnung der Istanbuler Hagia Sophia als Moschee am Freitag markiert eine Zäsur in der neueren Geschichte der Türkei.
Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ das erste Freitagsgebet seit mehr als 80 Jahren als Staatsakt zelebrieren, der den Charakter der von ihm propagierten „neuen Türkei“ zeigte: islamisch-nationalistisch. Erdogans Entscheidung ist zudem eine Abrechnung mit Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk.
Dieser hatte die Türkei als säkularen Staat geschaffen, der sich zur europäischen Kultur hinwenden sollte. Erdogan und seine Anhänger empfanden diese Ausrichtung schon immer als Zeichen einer Fremdbestimmung, als Unterdrückung des wahren Volkswillens.
Deshalb verstanden viele Türken die Feierlichkeiten am Freitag als Moment, in dem ihr Land endlich seine vollständige Souveränität erhielt. Nicht zufällig bildete eine Gerichtsentscheidung, die eine Anordnung von Atatürk für null und nichtig erklärte, die Grundlage für die Rückumwandlung des 1500 Jahre alten Gebäudes in eine Moschee.
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Die Kritik am Staatsgründer ist nicht unbegründet. Atatürks Weichenstellung hatte fatale Folgen, weil sie gläubige Muslime von Universitäten und Staatsämtern fernhielt und zu Bürgern zweiter Klasse machte.
Erdogan hat diesen Fehler korrigiert, geht aber zu weit. Er ist dabei, die Türkei als eine Republik der Muslime neu zu definieren. Das führt dazu, dass sich Millionen nicht religiöse Menschen und Mitglieder von Minderheiten ausgegrenzt fühlen.
Zudem verliert die Türkei eine Besonderheit, die sie bisher von anderen islamischen Ländern unterschied: Aus einem Staat mit muslimischer Bevölkerung, einer säkulären Staatsideologie und dem Ziel Europa wird eine Republik, in der die Verbindung von Nationalismus und islamischer Mehrheitsreligion bestimmend für die Politik des Landes ist.
Ob die Türken diese Umdeutung ihres Staates mitmachen oder nicht, muss abgewartet werden. Viele halten die Umwandlung der Hagia Sophia für einen Fehler. Auch am Freitag ist die Frage, welches Land die Türkei nun eigentlich sein will, noch nicht endgültig beantwortet worden.