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Erdogan und Putin haben ihr Vorgehen in Syrien in zahlreichen Gesprächen abgestimmt.
© Adem Altan, AFP

Türkei im Syrien-Krieg: Erdogans Balanceakt

Die Türkei und Russland sind im Syrien-Konflikt eine strategische Partnerschaft eingegangen. Jetzt lobt Präsident Recep Tayyip Erdogan den Raketenangriff.

Wenn Recep Tayyip Erdogan über die USA spricht, findet er in letzter Zeit selten lobende Worte. Der türkische Präsident kritisiert die Zusammenarbeit der USA mit den Kurden in Syrien und droht Washington mit einer „osmanischen Ohrfeige“. Mit Russland arbeitet er dagegen eng zusammen. Doch nach dem westlichen Raketenangriff auf syrische Chemiewaffen-Einrichtungen am Wochenende kamen von Erdogan andere Töne. Er unterstützte die Strafaktion, auch wenn er Moskau nicht direkt kritisierte. Die Türkei sucht einen dritten Weg zwischen den USA und Russland – das wird auch Nato-Generalsekretür Jens Stoltenberg bei einem Besuch in Ankara an diesem Montag erfahren.

In den vergangenen Tagen hat Erdogan mit Donald Trump, Wladimir Putin, Emmanuel Macron und Theresa May telefoniert. Vor den Raketenangriffen hatte er versucht, zwischen den USA und Russland zu vermitteln, war aber gescheitert. Die Türkei will eine Konfrontation der Supermächte in Syrien unbedingt vermeiden: „Wir ergreifen nicht Partei für Russland oder Amerika“, sagt Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Irgendwo in der Mitte

Erdogan braucht das Wohlwollen Russlands für seine Militärintervention in Syrien. Mit keinem anderen internationalen Spitzenpolitikern pflegt er einen so engen Kontakt wie mit Putin. Die beiden haben sich in den vergangenen anderthalb Jahren ein gutes Dutzend Mal getroffen und mehr als 20 Telefonate miteinander geführt. Beide würden gerne einen Abzug der Amerikaner aus Syrien sehen.

Mit den USA hat die Türkei dagegen viele Probleme. Den endgültigen Bruch mit dem Westen will Erdogan aber vermeiden. Erst kürzlich betonte er bei einem Treffen mit der EU-Spitze seine Bereitschaft zur Überwindung der Krise der vergangenen Jahre. Europa ist für die Türkei unter anderem als Handelspartner von herausragender Bedeutung.

„Erdogan verortet die Türkei irgendwo in der Mitte“ zwischen West und Ost, schrieb Murat Yetkin, Chefredakteur der englischsprachigen „Hürriyet Daily News“, kürzlich. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, den in der Türkei starken Anti-Amerikanismus für seine politischen Zwecke einzusetzen, bei anderer Gelegenheit jedoch die Nähe zur westlichen Supermacht zu suchen.

Ambitionen einer Regionalmacht

Dahinter stehen nicht nur taktische Notwendigkeiten, sondern auch Ambitionen einer Regionalmacht. Erdogans Regierung betrachtet die Türkei als eigenständigen Akteur, der politisch, wirtschaftlich und militärisch stark genug ist, einen selbstständigen Kurs zu steuern. Insbesondere im Nahen Osten und in Afrika bemüht sich die Türkei um mehr Einfluss. Militärische Stützpunkte der Türken am Golf und am Horn von Afrika sind ein Ausdruck davon. Erdogan findet auch nichts dabei, in Syrien mit dem Iran zusammenzuarbeiten, dem Hauptfeind der sunnitischen Araber.

Ganz spannungsfrei läuft aber auch diese Kooperation nicht. Russen und Iraner unterstützen Baschar al Assad, Erdogan strebt den Sturz des syrischen Präsidenten an. Auch betrachten Moskau und Teheran den türkischen Feldzug im Nordwesten Syriens mit Misstrauen und verlangen eine Übergabe der eroberten Gegend um Afrin an die syrische Regierung – was die Türkei strikt ablehnt: Erdogan will sich mit seiner Politik einen Platz am Tisch der Großmächte verschaffen, wenn eines Tages über die Zukunft Syriens entschieden wird.

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