Türkei: Erdogan will dem Geheimdienst mehr Macht geben
Die türkische Regierung hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der dem Geheimdienst mehr Befugnisse geben soll. Kritiker werfen Premier Erdogan vor, immer autoritärer vorzugehen.
In der Türkei vergeht derzeit kaum ein Tag ohne neue umstrittene Gesetzesinitiative der Regierung. Am Donnerstag wurde der Entwurf für ein neues Geheimdienstgesetz vorgelegt, das dem türkischen Nachrichtendienst MIT neue Befugnisse einräumt. Die Aufwertung des MIT folgt auf kürzlich beschlossene Reformen in Justiz und Internetgesetzgebung, die nach Meinung von Kritikern ebenfalls eines gemeinsam hatten: Die Exekutive wird gestärkt, ohne dass demokratische Kontrollinstanzen ein Gegengewicht bilden. Das MIT-Gesetz sei ein „neuer Schritt in den Polizeistaat“, sagte der bekannte Journalist Can Dündar.
MIT-Chef Hakan Fidan gehört zu den engsten Vertrauten von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Fidan führt für Erdogan die Verhandlungen mit dem inhaftierten kurdischen Rebellenchef Abdullah Öcalan und kümmert sich um die Unterstützung für syrische Rebellen, die nach Meinung der Opposition unter anderem in illegalen Waffenlieferungen besteht. Die ohnehin bereits mächtige Stellung des Geheimdienstes soll nun noch einmal gestärkt werden. So soll der MIT das Recht erhalten, sich über das Bankgeheimnis hinwegzusetzen, wenn er sich für die Daten Verdächtiger interessiert. Auch sollen staatlichen Institutionen verpflichtet werden, dem Geheimdienst mit Auskünften zu helfen. Journalisten, die über vertrauliche MIT-Informationen berichten, müssen demnach mit bis zu 12 Jahren Haft rechnen. Die gerichtliche Kontrolle über den Dienst, der Erdogan direkt unterstellt ist, wird gelockert.
Erdogan übt auch Druck auf private Medien aus
Ein künftig unangreifbarer Geheimdienst ist nicht die einzige Sorge für Menschen wie den Journalisten Dündar. Aus ihrer Sicht passt das neue Gesetz zur restriktiven Tendenz, die sie hinter den jüngsten Initiativen der Erdogan-Regierung zu erkennen glauben. Das neue Internetgesetz stärkt die Befugnisse der Behörden bei der Sperrung von Websites; die Justizreform vergrößert den Einfluss der Regierung auf die Ernennung und Versetzung von Richtern und Staatsanwälten. Die Regierung argumentiert, die Gesetzesänderungen seien angesichts der angeblichen Verschwörung regierungsfeindlicher Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen notwendig, um den Staat vor einer Unterwanderung zu schützen. Doch wichtige Reformen etwa beim Internet wurden ohne Konsultationen mit betroffenen Fachverbänden auf den Weg gebracht, was das Misstrauen wachsen lässt.
Auch geht es nicht nur um Gesetze. So hat Erdogan zugegeben, Druck auf private Medien ausgeübt zu haben, weil diese seiner Meinung nach zu ausführlich über die Opposition berichtet hatten. Erdogans aggressiver Tonfall trägt ebenfalls zum Eindruck einer zunehmend autoritärer werdenden Regierung bei. Erst vor wenigen Tagen warnte er, Regierungsgegner in Bürokratie und Medien würden für ihr Verhalten „die Zeche zahlen“. Erdogan-Gegner sehen niemanden, der dem Premier Einhalt gebieten kann. Staatspräsident Abdullah Gül hat nach Meinung der Kritiker bei der Kontrolle der Regierung versagt, indem er das Internetgesetz abzeichnete.
Im März stehen richtungsweisende Kommunalwahlen an
Manche Oppositionspolitiker sehen in Erdogans Politik ein Zeichen von Panik kurz vor den Kommunalwahlen am 30. März. Mustafa Sarigül, Oppositionskandidat für das Istanbuler Bürgermeisteramt, sieht sich selbst bei mittlerweile rund 40 Prozent, was einen Sieg von Erdogans Regierungspartei AKP in der Stadt gefährden würde. „Ich kann verstehen, dass sich der Ministerpräsident aufregt“, erklärte Sarigül mit Blick auf Erdogans Karrierestart als Istanbuler OB vor fast genau 20 Jahren. „Istanbul markierte den Anfang, und Istanbul wird das Ende markieren.“
Nach Meinungsumfragen dürfte Sarigül seine Lage etwas zu optimistisch sehen. Dennoch legen einige Äußerungen von Erdogan nahe, dass der Premier nervös ist. So rief er das AKP-Ergebnis der letzten Kommunalwahlen im Jahr 2009 als Messlatte für einen Erfolg im März aus: 38,8 Prozent im Landesdurchschnitt. Das ist für die AKP recht bescheiden. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2011 hatte sie fast 50 Prozent der Stimmen eingefahren. Für Erdogan geht es am 30. März auch um einen Test für die Frage, ob er stark genug ist, um im Sommer als Staatspräsident zu kandidieren. Bei einem AKP-Ergebnis von deutlich unter 40 Prozent werde es schwierig für Erdogans Präsidentschaftsambitionen, hatte der regierungsnahe Demoskop Ibrahim Uslu vor einigen Monaten gesagt.