zum Hauptinhalt
Der türkische Präsident Erdogan blick skeptisch. Die Entscheidungen des deutschen Rechtsstaats zur Böhmermann-Satire behagen ihm nicht.
© AFP

Einstellung des Schmähgedicht-Verfahrens: Erdogan will Böhmermann unbedingt vor Gericht sehen

Der türkische Präsident will Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens gegen Böhmermann einlegen. Die hat aber kaum Chancen, denn auch die Regierung hat ihre Meinung geändert.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gibt nicht auf. Er will doch noch erreichen, dass der TV-Unterhalter Jan Böhmermann wegen seines umstrittenen „Schmähgedichts“ vor Gericht gestellt wird. Sein Anwalt kündigte eine Beschwerde gegen die vergangene Woche erfolgte Einstellung des Beleidigungsverfahrens durch die Mainzer Staatsanwaltschaft an. Doch die Chancen dafür sind gering, wie jetzt deutlich wird. Bis hinauf in die Bundesregierung billigten die zuständigen Stellen das Ende der Ermittlungen. Nach Tagesspiegel-Informationen gaben weder das Kanzleramt noch das Justizministerium von Heiko Maas (SPD) eine Stellungnahme zum geplanten Ende der Ermittlungen ab.

Das gespannte Verhältnis der Regierung zur Türkei dürfte dadurch nicht einfacher werden. Schließlich hatte Merkel Böhmermanns Auftritt im April noch „bewusst verletzend“ genannt, und ein Kurzgutachten der Regierung kam zum Ergebnis, der Satiriker habe sich wegen „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts“ strafbar gemacht, Paragraf 103 Strafgesetzbuch. Auch hatte die Regierung die für die Verfolgung der Tat nötige Ermächtigung erteilt. Doch nun zeigt Merkel Erdogan die kalte Schulter.

Nach den „Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren“ (RiStBV) hat die Regierung ein gewichtiges Wort mitzureden bei Ermittlungen nach Paragraf 103, jener „Majestätsbeleidigung“, die bald abgeschafft werden soll. Schließlich geht es um die diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik. Deshalb sehen die Richtlinien vor, die Staatsspitze über die Verfahrensschritte zu unterrichten. Soll ein Verfahren mangels Tatverdacht eingestellt werden, wie es bei Böhmermann geschah, müssen die Gründe dargelegt werden.

So hatten die Mainzer Staatsanwälte ihren Entwurf für die Einstellungsverfügung mitsamt den Akten über den Dienstweg nach Berlin geschickt. Erhebt die Regierung Widerspruch, sind die Ermittler daran zwar nicht gebunden. Aber wenn sie trotzdem einstellen, sollen sie wenigstens „die Einwendungen würdigen, die gegen die Einstellung erhoben worden sind“, wie es in den RiStBV heißt.

Die Regierung hatte trotz ihrer früheren Ansichten jetzt keine Einwände mehr. Gleiches gilt offenbar für die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz und den rheinland-pfälzischen Justizminister Herbert Mertin (FDP), die das Mainzer Schreiben ebenfalls in den Händen hielten, bevor es nach Berlin ging. Wie das Ministerium mitteilte, habe die Koblenzer Behörde lediglich „ein Randschreiben mit ergänzenden rechtlichen Ausführungen beigefügt“, dessen Inhalt geheim bleiben soll.

Dass es durchgreifende Bedenken enthält, kann als unwahrscheinlich gelten. Denn diese hätte die Generalstaatsanwaltschaft den Mainzern direkt vorhalten können. So ist eher wahrscheinlich, dass deren Entscheidung noch weiter unterstützt wurde. Damit dürfte es nahezu aussichtslos sein, wenn Erdogan die dafür zuständige Generalstaatsanwaltschaft mit seiner Beschwerde doch noch umstimmen will. Die Exekutive in Bund und Land steht geschlossen hinter den Mainzer Ermittlern. Scheitert Erdogan nun erneut, bliebe ihm nur noch der Weg direkt vor Gericht, mit einem sogenannten Klageerzwingungsverfahren. Doch diese sind höchst selten erfolgreich.

Zur ironischen Seite der Angelegenheit gehört, dass sich der gesamte Rundlauf möglicherweise erübrigt hätte, wenn Merkel seinerzeit einen ersten Bericht der Mainzer Ermittler abgewartet hätte, in dem diese den Sachverhalt würdigen mussten. Dann wäre schnell klar gewesen, dass keine Anklage folgen soll, und die umstrittene Erteilung der Verfolgungsermächtigung wäre entbehrlich gewesen. Vielleicht entsprach es aber auch dem Kalkül der Regierung, die Sache ohne Rücksicht darauf möglichst schnell der Justiz zu überantworten.

Denn so sah es nach einer gründlichen, unabhängig vorgenommenen Prüfung aus, und nicht nach einem Zusammenspiel zwischen Exekutive und Justiz zulasten des türkischen Präsidenten. Das mehrmonatige Verfahren in Mainz nahm politischen Druck aus dem Kessel. Die Proteste in der Türkei blieben zuletzt überschaubar.

Zur Startseite