Türkischer Präsident in Washington: Erdogan warnt Trump vor Zusammenarbeit mit den syrischen Kurden
Bei ihrem ersten Treffen werden klare Differenzen zwischen Trump und Erdogan deutlich. Der US-Präsident will syrische Kurden mit Waffen versorgen, Erdogan nennt das "nicht angemessen".
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen US-Kollegen Donald Trump am Dienstag vor laufenden Kameras im Weißen Haus vor den geplanten Waffenlieferungen an die syrischen Kurden gewarnt. Die Kurdenmiliz YPG und deren Mutterorganisation PYD als Gesprächspartner zu akzeptieren, sei „nicht angemessen“, sagte Erdogan, ohne die USA jedoch explizit zu nennen. In seinen öffentlichen Äußerungen ließ Trump jedoch keine Änderung seiner Haltung erkennen.
Bei ihrer ersten persönlichen Begegnung seit Trumps Wahlsieg im November waren beide Politiker bemüht, Gemeinsamkeiten wie die lange Partnerschaft ihrer Länder herauszustreichen. Erdogan machte nach einem weniger als halbstündigen Gespräch mit Trump aber klar, dass er die Kooperation der USA mit den syrischen Kurden ablehnt: Alle Terrororganisationen müssten gleichermaßen bekämpft werden, sagte er.
Trump hatte vergangene Woche die Lieferung schwerer Waffen an die YPG angeordnet, die zusammen mit der PYD die syrische Vertreterin der kurdischen Terrororganisation PKK bildet. Mit Hilfe der Kurden will Trump sein großes Ziel in Syrien verwirklichen: Er will dem Islamischen Staat (IS) eine vernichtende militärische Niederlage beibringen. Da die Amerikaner keine eigenen Bodentruppen entsenden wollen, verlassen sie sich auf die lokale Hilfstruppe der Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), bei denen die Kurden den Ton angeben. Mit amerikanischen Panzerfäusten und Granatwerfern soll die SDF den IS in Rakka angreifen, der Haupstatdt des „Kalifats“ der Dschihadisten.
Ankara sorgt sich vor Kurdenstaat
Erdogan befürchtet, dass die Kurden die amerikanischen Waffen anschließend gegen die Türkei richten und ihren Einflussbereich im Norden Syriens ausbauen werden; Ankara sorgt sich, dass dort ein eigener Kurdenstaat entstehen könnte. Der türkische Präsident hatte in der Vergangenheit die USA in deutlichen Worten aufgefordert, sie müssten sich zwischen dem NATO-Partner Türkei und den syrischen Kurden entscheiden. Trump setzt dennoch auf die Bewaffnung der SDF.
Trump ging am Dienstag nicht auf Erdogans Forderungen in Sachen YPG ein. Er sagte lediglich, die USA unterstützten die Türkei im Kampf gegen den IS und gegen die PKK. Ob Erdogan beim US-Präsidenten dennoch etwas bewegen konnte, blieb zunächst unklar: Beide Politiker setzten ihre Gespräche bei einem Essen fort, über dessen Ergebnisse zunächst nichts bekannt war.
Der Nahost-Experte Aaron Stein von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington sagte in einem Beitrag für die angesehene Internetseite War On The Rocks voraus, dass Erdogan beim Thema Kurden wohl mit leeren Händen aus der US-Hauptstadt nach Hause reisen werde. Der türkische Präsident könne Trump keine glaubwürdige Alternative für den Einsatz der Kurden beim geplanten Sturm auf Rakka anbieten. Die Türkei wirbt zwar für den Gedanken, den Angriff auf die IS-Hochburg von arabischen Milizionären der Freien Syrien Armee (FSA) ausführen zu lassen, doch bezweifelt die US-Regierung, dass die FSA für die Aufgabe stark genug ist.
Türkei hat zentrale Rolle im Kampf gegen mögliche Atomisierung des IS
Beobachter spekulierten im Vorfeld des Erdogan-Besuches deshalb über mögliche Zugeständnisse Trumps an den türkischen Präsidenten in anderen Bereichen des Syrien-Konfliktes. So galt es als möglich, dass die USA der Türkei nach einer Vertreibung des IS aus Rakka eine größere Rolle im Norden Syriens zugestehen. Dazu war zunächst jedoch nichts bekannt.
Ein solches Angebot Trumps wäre nicht ganz uneigennützig. Westliche Experten weisen schon jetzt auf die Gefahr hin, dass ausländische IS-Kämpfer nach der Schlacht um Rakka versuchen könnten, aus Syrien herauszukommen und sich nach Libyen, Afghanistan oder Europa abzusetzen. Bei der Verhinderung einer solchen Atomisierung des IS würde die Türkei als direkter Nachbar Syriens mit einer 900 Kilometer langen Landgrenze eine wichtige Rolle spielen.
Unklarheit herrschte am Dienstag auch hinsichtlich des türkischen Wunsches nach Auslieferung des islamischen Predigers und Erdogan-Gegners Fethullah Gülen aus den USA. Bisher hat Trumps Regierung nichts unternommen, um die Abschiebung des in Pennsylvania lebenden Gülen an Ankara voranzutreiben. Die türkische Führung zeigte sich in den vergangenen Tagen sehr enttäuscht darüber. Gülen selbst warf Erdogan am Dienstag in der „Washington Post“ vor, unschuldige Menschen verfolgen, foltern und töten zu lassen.