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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reist am Donnerstag in die Ukraine.
© Adem Altan/AFP

Türkei zwischen den Stühlen: Erdogan trifft Selenskyj – und wird Vermittler im Ukraine-Konflikt?

Der türkische Präsident pflegt sowohl gute Beziehungen zu Kiew als auch zu Moskau. Vor seiner Reise gibt es Zoff um die US-Truppenverlegung nach Europa.

Inmitten schwerer Spannungen im Ukraine-Konflikt gehen die diplomatischen Bemühungen um eine friedliche Lösung weiter. Am Donnerstag will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu Gesprächen mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj nach Kiew fliegen.

Neben den Handelsbeziehungen soll es dabei nach türkischen Angaben auch um die Krise der Ukraine mit dem Nachbarland Russland gehen. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will mit Gesprächen weiter in dem Konflikt vermitteln. Mit Spannungen wird zudem erwartet, wie der Kreml auf die von den USA angekündigte Verlegung von etwa 2000 Soldaten nach Europa reagieren wird.

Russlands Vize-Außenminister Alexander Gruschko sprach bereits von einem „destruktiven Schritt“. Der Spielraum für politische Entscheidungen werde dadurch verengt. Dagegen begrüßte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die geplante Verlegung. Damit werde die Abschreckung und Verteidigung der Allianz gestärkt.

Das US-Verteidigungsministerium hatte zuvor angekündigt, etwa 2000 Soldaten nach Europa zu schicken - 300 von ihnen nach Deutschland. 1700 Kräfte sollen nach Polen verlegt werden. Aus der Bundesrepublik würden wiederum 1000 amerikanische Soldaten nach Rumänien geschickt.

US-Präsident Joe Biden sagte, die Truppenverlegung stehe im Einklang mit dem, was er Russlands Präsident Wladimir Putin schon von Beginn an in der Krise gesagt habe. Der Sprecher des Pentagons, John Kirby, betonte, dass es „keine Anzeichen für eine Deeskalation“ gebe. „Wir glauben, dass Putin über ein großes militärisches Potenzial verfügt. Er erweitert ständig seine Optionen“, so Kirby.

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Unterdessen laufen die diplomatischen Versuche weiter, eine friedliche Lösung in dem Konflikt zu finden. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, „in Kürze“ zu einem Treffen mit Putin nach Moskau zu reisen. Einen genauen Termin nannte er aber nicht.

An diesem Donnerstag will Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron erneut mit Putin telefonieren. Auch ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj steht an. Macron und Putin pflegen in dem Konflikt enge Kontakte, weil Paris zusammen mit Berlin seit Jahren in dem Ukraine-Konflikt vermittelt.

Der Franzose telefonierte am späten Mittwochabend auch mit Biden. Beide bekräftigten dabei dem Weißen Haus zufolge ihre Unterstützung für die Ukraine und „hohe wirtschaftliche Kosten“ im Falle eines russischen Einmarschs in die Ukraine.

Im diplomatischen Zentrum: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
Im diplomatischen Zentrum: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
© Uncredited/Ukrainian Presidential Press Off/AP/dpa

Das Weiße Haus änderte indes seine Wortwahl in der Ukraine-Krise leicht und will nicht mehr von einem „unmittelbar bevorstehenden“ russischen Einmarsch in das Land sprechen. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte, man habe entschieden, den Begriff nicht mehr zu benutzen, weil dies eine Botschaft aussende, die nicht beabsichtigt sei: „nämlich dass wir wissen, dass Präsident Putin eine Entscheidung getroffen hat“.

Putin hatte bei einem Telefonat mit dem britischen Premier Boris Johnson kritisiert, die Nato reagiere nicht „angemessen auf die berechtigten Bedenken Russlands“. Das teilte der Kreml in der Nacht zum Donnerstag mit. Auch Johnson wiederum warnte Putin vor einem Einmarsch in ukrainisches Gebiet.

Angesichts westlicher Berichte über einen Aufmarsch von mehr als 100.000 russischer Soldaten in der Nähe der Ukraine wird befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in sein Nachbarland plant. Moskau bestreitet das. Für möglich wird auch gehalten, dass die russische Seite Ängste schüren will, um die Nato zu Zugeständnissen bei Forderungen nach neuen Sicherheitsgarantien zu bewegen.

Seit Tagen gibt es schon hochrangige Gespräche, um einen Krieg zu verhindern. Der türkische Präsident Erdogan hatte bereits mehrmals angeboten, als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland zu fungieren. Während Kiew das Angebot annahm, war die Reaktion aus Moskau jedoch eher verhalten ausgefallen.

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Das Nato-Mitglied Türkei unterhält sowohl gute Beziehungen zur Ukraine als auch zu Russland. Eine mögliche russische Intervention hatte Erdogan als „nicht realistisch“ und als falschen Schritt bezeichnet. Die Türkei hat sich zudem zum Ärger des Kreml mehrfach die russische Annexion der Krim 2014 kritisiert und immer wieder auf die Unabhängigkeit der Ukraine gepocht - auch weil die muslimische Minderheit der Krimtataren historisch eng mit dem südlichen Nachbarn am Schwarzen Meer verbunden ist.

Ankara liefert Kiew beispielsweise Kampfdrohnen. Im Oktober vergangenen Jahres setzte Kiew erstmals eine im umkämpften Osten des Landes ein. Wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Nacht zum Donnerstag mitteilte, drohten ukrainische Streitkräfte OSZE-Beobachtern in der Ostukraine, eine Drohne der Organisation abzuschießen.

Der Kreml hatte zuletzt Gespräche der Türkei mit der Ukraine begrüßt. Wann Erdogan und Putin sich wieder treffen werden, ist offen. Die Türkei hat ein starkes Interesse an guten Beziehungen zu Moskau: Die meisten Touristen kommen aus Russland, Moskau ist außerdem größter Gaslieferant. 2020 stammten fast 34 Prozent der Gasimporte von dort.

Die Politik der Türkei sei ein Drahtseilakt, sagt der Ukraine-Experte und politische Analyst Hüseyin Oylupinar. Die Türkei habe ein Interesse an der Beibehaltung des Status Quo in der Region. Ankara sehe eine unabhängige Ukraine als Gegengewicht zu Russland. Gleichzeitig habe man auch kein Interesse daran, dass die Nato über einen Beitritt der Ukraine in der Region stärker werde. (dpa)

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