Mittelfinger in Richtung der Nato-Partner: Erdogan provoziert mit einem Kampfjet-Manöver den Westen
Zwischen Ankara und den Nato-Bündnispartnern knirscht es gewaltig. Grund dafür ist nicht nur der Krieg in Syrien, sondern auch die türkische Rüstungspolitik.
Kurz vor Beginn des Nato-Gipfels in London an diesem Dienstag schickte die Türkei ein unmissverständliches Signal an ihre Partner. Die Militärs in Ankara probierten das russische Flugabwehrsystem S-400 aus, dessen Anschaffung von den westlichen Verbündeten scharf kritisiert worden war. Ausgerechnet ein Kampfflugzeug vom amerikanischen Typ F-16 ließen die Türken vom System erfassen.
„Das war sicher kein Zufall“, sagt Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München. „Das war eine politische Botschaft, und die lautete: ‚Wir haben Alternativen.’“
Vor dem zweitägigen Gipfel zur Feier des 70-jährigen Bestehens knirscht es gewaltig zwischen der Türkei und den anderen Nato-Staaten. Beim Thema S-400 lehnt Ankara alle Forderungen aus den USA und Europa ab, doch auf das russische System zu verzichten. „Man kauft nicht etwas, um es dann in der Packung zu lassen“, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu.
Auch am Syrien-Konflikt entzündet sich Streit. Vor dem Gipfel blockierte die Türkei den geplanten Nato-Verteidigungsplan für das Baltikum und für Polen. Mit dem Veto will Ankara die anderen Bündnisstaaten dazu zwingen, den jüngsten Einmarsch der türkischen Armee in Syrien abzusegnen.
Die USA und Europa hatten die Intervention verurteilt, mit der die türkischen Soldaten gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG vorgeht. Die Türkei betrachtet die YPG als Terrororganisation, aber für die USA sind die Kurdenkämpfer ein unverzichtbarer Partner im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.
Präsident Macron platzt der Kragen
In einer Vorlage für den Gipfel will die Führung in Ankara durchsetzen, dass die YPG von der Allianz offiziell als Bedrohung für die Sicherheit der Türkei beschrieben wird. Weil die USA und andere Verbündete diese Formulierung ablehnen, stellt sich die Türkei beim Nato-Plan für das Baltikum und Polen stur.
Experte Masala sagt, eine für alle Beteiligten gesichtswahrende Möglichkeit könne darin bestehen, dass in der Schlusserklärung in allgemeiner Form die türkischen Sicherheitsinteressen an der Südgrenze anerkannt würden. Der Riss zwischen der Türkei und anderen Nato-Staaten würde damit aber nur notdürftig überdeckt. „Die Wahrheit ist, dass die Türkei schon seit langer Zeit eine Anti-Nato-Politik in ihrer Region betreibt. Im Extremfall kann das die ganze Nato lähmen.“
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron platzte schon vor den Londoner Gesprächen der Kragen. Die Türkei könne den Rest der Allianz nicht mit dem Syrien-Einsatz vor vollendete Tatsachen stellen und dann Solidarität vom Bündnis einfordern, sagte er.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan konterte mit Kritik an freundlichen Kontakten Frankreichs zur YPG und sagte, Macron solle sich mal wegen „Hirntods“ untersuchen lassen – eine Anspielung auf Macrons Kritik am Zustand der Allianz. Die Pariser Regierung bestellte wegen Erdogans „Beleidigung“ den türkischen Botschafter ein.
Diskussion um „Schutzzone“ in Syrien
In London soll auch der Vorschlag von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Einrichtung einer international gesicherten „Schutzzone“ in Syrien auf die Tagesordnung kommen. Erdogan werde diesen Vorstoß wohl ablehnen, weil Ankara die Kontrolle über den Norden Syriens nicht mit einer Truppe unter europäischem Befehl teilen wolle, vermutet Experte Masala. Einerseits.
Andererseits stößt Erdogans Vorschlag, Millionen syrischer Flüchtlinge aus der Türkei in eine von Ankara kontrollierte Zone in Nord-Syrien anzusiedeln, bei den Partnern auf Widerstand. „Die Europäer werden ihm dafür kein Geld versprechen“, sagt Masala.