Zehntausende Anhänger und Gegner demonstrieren: Erdogan provoziert Köln
In Köln haben Zehntausende Anhänger des türkischen Premiers seiner Rede zugehört. Auf der anderen Rheinseite demonstrierten Zehntausende Menschen gegen den umstrittenen Politiker.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat seinen Auftritt vor Zehntausenden Anhängern in Köln zu scharfen Angriffen auf die westlichen Partner seines Landes genutzt. Es gebe eine neue Türkei, die sich nicht mehr herumkommandieren lasse, sondern selbst „die Tagesordnung bestimmt“, sagte Erdogan unter dem Jubel seiner Zuhörer in der Lanxness-Arena. „Das muss jeder anerkennen.“ Keine Person, kein Land und keine Institution habe das Recht, „uns hochmütig zu sagen, wo es langgeht“. Kritik des Westens an Einschränkungen der Bürgerrechte wies er zurück.
Erdogan ging auf Beschwerden über Beschränkungen der Pressefreiheit ein, die kürzlich auch von Bundespräsident Joachim Gauck bei dessen Besuch in der Türkei zur Sprache gebracht worden waren. „Lügen und Verleumdungen“ würden von Kritikern im In- und Ausland wiederholt, sagte Erdogan. Wer sage, in der Türkei gebe es keine Pressefreiheit, der unterstütze den Terrorismus.
Erdogan hat den Präsidentschaftswahlkampf in Köln begonnen
Die Rede galt als inoffizieller Auftakt von Erdogans Bewerbung um das türkische Präsidentenamt bei der Wahl im August. Der Erdogan-kritische Journalist Abdullah Bozkurt kommentierte auf Twitter, Erdogan habe die Ansprache bewusst mit Angriffen auf den Westen gespickt, um verärgerte Reaktionen aus dem Ausland zu provozieren, die er dann innenpolitisch nutzen könne.
In seiner knapp anderthalbstündigen Rede hob Erdogan die wirtschaftlichen Erfolge seiner Regierung in den vergangenen zwölf Jahren hervor. Nun gebe es Kräfte, die den weiteren Aufstieg der Türkei verhindern wollten. „Denen sage ich: Die Türkei ist nicht mehr die alte Türkei.“ Leider gebe es eine „sehr schmutzige Allianz“ zwischen Kräften im In- und Ausland, die arrogant auf die Türkei herab blickten und „Anschwärzungskampagnen“ gegen das Land in Gang gesetzt hätten. Der türkische Premier kritisierte zudem, der Westen habe zu den kürzlichen Todesurteilen gegen Mitglieder der Muslimbrüder in Ägypten geschwiegen. Dennoch bekräftigte er, sein Land bleibe bei seiner EU-Bewerbung.
Der Premier wirft deutschen und türkischen Medien Kollaboration vor
Türkische und deutsche Medien arbeiteten zusammen, um seine Regierung zu unterminieren, sagte Erdogan. Er erwähnte eine Überschrift des „Spiegel“, in der ein Bergmann nach dem Unglück von Soma mit dem Satz zitiert wurde: „Scher’ dich zum Teufel, Erdogan.“ Der Korrespondent des Magazins war kurz darauf wegen Morddrohungen aus der Türkei abgezogen worden. „Woher kennen die wohl den Weg zur Hölle?“ fragte Erdogan. Die Gegendemonstrationen gegen seinen Besuch in Köln bezeichnete er als „Provokationen“.
Aufgerufen zu dem Protest hatten Aleviten und Kurden. Rund 45 000 waren aus ganz Deutschland angereist, um dem türkischen Regierungschef zu zeigen, was sie von seiner Politik und seinem Auftritt in Köln halten. „Erdogan muss zittern – denn wir twittern“, stand auf vielen Plakaten, andere machten es kürzer: „Diktator Erdogan“.
Deutsche Politiker kritisierten den Auftritt
Deutsche Politiker kritisierten unter anderem den Zeitpunkt der Rede nur einen Tag vor der Europawahl in Deutschland. Auch wegen des schweren Grubenunglücks im westtürkischen Soma hatten mehrere Politiker dem islamisch-konservativen Ministerpräsidenten einen Verzicht auf die Reise nach Deutschland nahegelegt. Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) sprach am Samstag von einer „Provokation“. Sein Gast wollte den Besuch indes als private Visite verstanden wissen und sagte: „Ich spreche zu den drei Millionen Landsleuten in Deutschland.“
Offizieller Anlass für Erdogans Rede ist das zehnjährige Gründungsjubiläum der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die Erdogans Regierungspartei AKP unterstützt. Beobachter sind sich aber sicher, dass Erdogan in Köln um die Stimmen der türkischen Wähler in Deutschland kämpfen will. Erdogan gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahl, auch wenn er seine Kandidatur noch nicht offiziell erklärt hat. Dass der Besuch in Deutschland auf Kritik stößt, kann man bei der UETD nicht verstehen, auch der türkische Regierungschef hält trotzig dagegen
Vor der Abreise entlässt Erdogan seinen tretenden Berater
Kurz vor der Abreise nach Köln wurde bekannt, dass Erdogan eine erste personelle Konsequenz aus dem umstrittenen Umgang seiner Regierung mit dem Grubenunglück vom 13. Mai gezogen hat. Wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, wurde Yusuf Yerkel zum 21. Mai als Berater abgelöst. Sein Nachfolger ist noch nicht bekannt. Yerkel war wegen seiner Fußtritte gegen einen Demonstranten in Soma weltbekannt geworden. Die Amtsenthebung ist ein Zeichen dafür, dass Erdogan negative Auswirkungen des Grubenunglücks auf seine Chancen bei der Wahl befürchtet.
Yerkel hatte während eines Besuches mit Erdogan in Soma nach dem Tod von 301 Bergleuten einen am Boden liegenden Demonstranten getreten. Der Erdogan-Berater hatte sein Verhalten damit erklärt, dass er angesichts von „Provokationen“ die Gewalt über sich verloren habe. In Soma hatte eine aufgebrachte Menschenmenge gegen Erdogan protestiert, weil der Ministerpräsident tödliche Bergwerksunglücke als normal beschrieb. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie Yerkel einem Mann nachsetzte, der gegen ein Fahrzeug aus der Wagenkolonne Erdogans getreten hatte. Anschließend ließ sich Yerkel krankschreiben, weil er sich beim Treten das Bein verstaucht hatte. Wie sich später herausstellte, war das Opfer der Tritte ein Bergmann aus Soma.
In den ersten Tagen nach dem Unglück hatte sich Erdogan noch hinter Yerkel gestellt und sich demonstrativ von ihm zum Freitagsgebet begleiten lassen. Selbst in der Regierung stieß das Verhalten des Erdogan-Beraters jedoch auf Kritik. Nach Zeitungsberichten herrschte in den Reihen der Erdogan-Partei AKP große Unzufriedenheit mit Yerkels Verbleib im Amt. Andere wegen des Soma-Unglücks umstrittene Mitglieder der türkischen Führung wie Arbeitsminister Faruk Celik und Energieminister Taner Yildiz sind nach wie vor auf ihren Posten.
Thomas Seibert, Jürgen Zurheide